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archivio/testi su spinoza/Herrn Christian Wolfs Widerlegung der Sittenlehre B. v. S.

Herrn Christian Wolfs Widerlegung der Sittenlehre B. v. S., Wolff, Christian - 1744


Herrn Christian Wolfs Widerlegung der Sittenlehre B[aruch] v[on] S[pinozas], in: B[aruch] v[on] S[pinoza], Sittenlehre widerleget von dem berühmten Weltweisen unserer Zeit Herrn Christian Wolf. Aus dem Lateinischen übersetzet, pp. 1-128. Frankfurt und Leipzig, s. e., 1744.

Testo a cura di: Dagmar von Wille


 
 
|1|
Herrn
Christian Wolfs
Widerlegung
der
Sittenlehre
B. v. S.




|3|
Herrn Christian Wolfs
Widerlegung
der
Sittenlehre B. v. S.
aus dem andern Theile
seiner
natürlichen Gottesgelahrtheit
genommen.


§ 671.

~ Die Spinozisterey ist
eine Meinung, nach
welcher nicht mehr,
als ein einziges bestehendes
Ding, welches unendliche
Eigenschaften besitzet, angenommen
wird, wovon ihrer zwo das unendliche
Denken und die unendliche Ausdehnung
sind, und deren iede ein
Was die Spinozisterey sey.




|4| ewiges und unendliches Wesen ausdrücket:
die endlichen Dinge aber
entstehen nach derselben aus der nothwendigen
Abwechselung der Weisen
in den Eigenschaften dieses bestehenden
Dinges; zum Beyspiele die Seelen,
aus Abwechselung der Weisen
in dem unendlichen Denken, und die
Körper, aus Abwechselung der Weisen
in der unendlichen Ausdehnung.
~ Die Spinozisterey hat ihren Namen von
Benedict von Spinoza, welcher in dem vorigen
Jahrhundert ohne Bedienung in Holland
gelebet hat. Er wurde geboren zu Amsterdam,
im 1632 Jahre, und starb im 1677
Jahre in dem Hag, nachdem er die Stelle eines
Professors der Weltweisheit auf der Universität
zu Heidelberg, welche ihm der Churfürst
von der Pfalz antragen lassen, bescheidentlich
von sich abgelehnet hatte. Man
sehe den 53 und 54 Brief, welche in seinen
nachgelassenen Werken befindlich sind, 561
S. u. f. Insgemein saget man, die Spinozisterey
bestehe in der Vermengung Gottes
und der Natur, oder, wie die Schullehrer
reden, der ursprünglichen Natur ( natura
naturans
), welche Gott ist, und der entsprungenen
Natur ( natura naturata), welche
man die Natur überhaupt zu nennen pfleget:



|5| allein, diese Beschuldigung ist nur eine
Folgerung. Denn in der Sittenlehre (70),
welche die erste Schrift in seinen nachgelassenen
Werken ausmachet, erkennet derselbe,
daß die ursprüngliche Natur und die entsprungene
Natur von einander unterschieden seyn
müssen, und erkläret, wie beyde nach seiner
Meinung von einander unterschieden seyen.
Da wir nun die Spinozisterey umstürzen
willens sind: so haben wir nichts anderes in
die Meinung ihres Urhebers hinein bringen
wollen, als was derselbe mir ausdrücklichen
Worten lehret; denn, wenn man die Falschheit
derselben dargethan hat: so fället hernach
das andere, was durch Folgerungen daraus
hergeleitet wird, von sich selbst über einen
Haufen. Es ist unsere Gewohnheit nicht,
andern Sätze schuld zu geben, welche sie ausdrücklich
verwerfen, um nur etwas zu haben,
was wir widerlegen könnten. Daß wir aber
eine Erklärung von der Spinozisterey gegeben
haben, welche dem Sinne ihres Urhebers gemäß
ist: das lässet sich aus seiner Sittenlehre
gar leicht zeigen. Denn in derselben stehet
(39): in der ganzen Natur gebe es nicht
mehr als ein bestehendes Ding, und dieses
sey schlechterdings unendlich. Und kurz vorher
(38) saget Spinoza; außer Gott gebe
es kein anderes bestehendes Ding, und man
könne sich auch kein anderes gedenken: er
machet also dieses einzige schlechterdings unendliche



|6| bestehende Ding zu Gott. Noch
vorher (6), wo er die Erklärung von Gott
giebt, erkläret er das schlechterdings unendliche
Wesen durch ein bestehendes Ding, welches
unendliche Eigenschaften in sich fasset,
deren iede ein unendliches und ewiges Wesen
ausdrücket. Weiter behauptet er (64), daß
die besondern Dinge nichts anderes, als Weisen
der Eigenschaften Gottes seyen: und von
den Weisen saget er, sie müßten insgesamt
nothwendig, entweder aus der uneingeschränkten
Natur einer göttlichen Eigenschaft, oder
aus Abwechselung der Weisen in einer solchen
Eigenschaft, folgen. Endlich ist seine
Lehre (40): ausgedehnte und denkende Dinge
seyen entweder Eigenschaften Gottes (in
so ferne nämlich, als das Denken und die
Ausdehnung als unendlich oder ohne Schranken
betrachtet werden), oder aber Beschaffenheiten
oder Weisen der Eigenschaften Gottes
(nämlich so ferne, als man das Denken und
die Ausdehnung in dem Stande dieser oder
jener Weise ansiehet); imgleichen, das Denken
und die Ausdehnung seyen Eigenschaften
Gottes (100, 102), daher er den Körper erkläret
durch eine Weise, welche das Wesen
Gottes, so ferne man solches als etwas ausgedehntes
betrachtet, auf gewisse und bestimmte
Art ausdrücket (85). Er nennet die Seele
einen Theil des unendlichen göttlichen Verstandes
(122): von diesem aber giebt er keine



|7| eigene Erklärung, weil er das denkende bestehende
Ding und das ausgedehnte bestehende
Ding für eines und dasselbe bestehende
Ding hält, welches bald unter dieser und
bald unter jener Eigenschaft anzutreffen ist;
daher er auch die Weise der Ausdehnung und
den Begriff von dieser Ausdehnung eines und
dasselbe Ding nennet, nur daß es auf zweyerley
Art ausgedrücket sey (111): oder, die
Seele und der Leib seyen eines und dasselbe
einzele Ding, welches man sich bald unter der
Eigenschaft des Denkens, bald unter der Eigenschaft
der Ausdehnung gedenke; und, der
Begriff von der Seele, und die Seele selbst,
seyen eines und dasselbe Ding, welches man
sich unter einerley und derselben Eigenschaft
gedenke, nämlich unter der Eigenschaft des
Denkens (164). Es erhellet also hieraus,
daß wir in die Erklärung der Spinozisterey
nichts anderes hinein gebracht haben, als
was mit eben denselben Worten in der Sittenlehre
Spinozas zu finden ist. Daß aber
die Wörter von uns in eben dem Verstande
genommen werden, welche sie nach den Erklärungen
desselben haben: das wird theils
aus dem, was bereits angeführet worden,
theils aus dem Folgenden zu erkennen seyn.



|8|
§ 672.

~ Nach Spinozas Lehrgebäude ist
Gott das bestehende Ding, welches
unendliche Eigenschaften in sich fasset,
deren iede ein ewiges und unendliches
Wesen ausdrücket. Man
sehe dessen Sittenlehre (6).
~ Man hat die Erklärungen Spinozas wohl
zu erwägen, wenn man die Quelle seiner Irrthümer
entdecken will, welche er erwiesen zu
haben sich und andere beredet hat. Es sind
aber solche nicht allerdings deutlich, sondern
führen eine gewisse Dunkelheit bey sich, welche
einem nicht gar aufmerksamen Leser leicht
einen Dunst vor die Augen machen können.
Was derselbe durch eine Eigenschaft verstehe,
das werden wir in der folgenden Erklärung
vernehmen. Indem er aber saget, Gott
fasse unendliche Eigenschaften in sich, und
dennoch in der Ausführung nicht mehr als
zwo von demselben erweiset, nämlich die Ausdehnung
und das Denken, und beyde als unendlich
angiebt, wie wir vorhin angemerket
haben (Anm. zu § 671): so könnte hieraus
ein Zweifel entstehen, ob man nach der gegenwärtigen
Erklärung Gott unendliche Eigenschaften
der Zahl nach beylegen müsse, oder
aber nur zwo derselben, oder wenigstens der
Zahl nach endliche Eigenschaften, deren iede
Erklärung von Gott nach den Sätzen Spinozas.




|9| an sich selbst unendlich wäre. Allein, weil
er in der beygefügten Erläuterung (7) einen
Unterschied machet zwischen einem Dinge,
welches nach seiner Art, und einem, welches
schlechterdings unendlich ist; und saget, von
jenem könne man unendliche Eigenschaften
verneinen, dieses aber schließe keine Verneinung
in sich: so scheinet es allerdings, man
müsse unendliche Eigenschaften der Zahl nach
verstehen. Dieses wird auch durch andere
Stellen, welche hin und wieder vorkommen,
bestätiget: als wenn derselbe saget (104):
daß Gott Unendliches auf unendliche Weisen
thue (es fließen aber die verschiedenen Weisen
zu thun, nach seiner Meinung, aus der
Verschiedenheit der Eigenschaften); und
wenn er lehret (29): ie mehr wirkliches
oder wesentliches ein Ding besitze, desto
mehr Eigenschaften kommen demselben
zu. Ferner stecket keine geringe Dunkelheit
in den Worten: daß eine iede Eigenschaft
ein ewiges und unendliches Wesen ausdrücke.
Denn Spinoza erkläret nicht, was
er durch das Wesen wolle verstanden haben,
sondern begnüget sich mit einem undeutlichen
Begriffe desselben. So kann man auch
nicht genugsam verstehen, was der Ausdruck
des Wesens seyn solle: zumal, da aus dem
ganzen Werke erhellet, daß eine iede Eigenschaft
ein und dieselbe Sache auf verschiedene
Weise ausdrücket, dergestalt, daß es eine



|10| und dieselbe Sache ist, welche durch das
Denken und durch die Ausdehnung ausgedrücket
wird, nur daß die Weise der Ausdrückung
verschieden ist.

673.

~ Durch die Eigenschaft verstehet
Spinoza dasjenige, was der Verstand
von einem bestehenden Dinge
auf solche Art begreifet, daß es das
Wesen desselben ausmachet. Sittenl.
(4).
~ Hier setzet er die Bedeutung des Wortes
Wesen wiederum voraus, indem er solche
nicht erkläret hat. Denn, obzwar derselbe
in seinen metaphysischen Gedanken, welche
er Descartes Anfangsgründen der Weltweisheit,
von ihm nach geometrischer Lehrart erwiesen,
beygefüget hat, 2 Hauptst. 97 S. u. f.
die Erklärungen giebt, was das Seyn des
Wesens, und wie solches von dem Seyn des
Begriffes und dem Seyn des Daseyns unterschiden
sey: so kann man doch die daselbst
gegebenen Begriffe nicht sicher in sein Lehrgebäude
übertragen, weil er allda nach Descartes
Sinne lehret, und nicht so, wie es seinen
Lehrsätzen, die er in der Sittenlehre vorträget,
gemäß ist.
Erklärung der Eigenschaft nach Spinozas Lehrsätzen.




|11|
§ 674.

~ Durch ein bestehendes Ding verstehet
Spinoza dasjenige, was in
sich selbst ist und für sich selbst sich
gedenken lässet: oder dasjenige, dessen
Begriff des Begriffs eines andern
Dinges, von welchem er gemacht
werden müßte, nicht bedarf.
Sittenl. (3).
~ Man kann nicht deutlich genug sehen, was
die Worte, in sich selbst seyn und für sich selbst
sich gedenken lassen, sagen wollen. Spinoza
hat diese Dunkelheit selbst gemerket, und daher
dasjenige, was er in den Gedanken hatte,
durch das Folgende zu erklären gesuchet: daß
nämlich dajenige in sich selbst sey und für
sich selbst sich gedenken lasse, dessen Begriff
des Begriffs eines andern, von welchem er
gemacht werden müßte, nicht bedarf. Aus
dem Verfolge seines Werkes erkennet man,
daß er durch den Begriff ( conceptus) die
Vorstellung eines Dinges in dem Verstande
verstehe, welche wir notio genennet haben
(§ 34 der lat. Vernunftl.). Hieraus ist zu
ersehen, daß nach Spinoza dasjenige für sich
selbst ist und für sich selbst sich gedenken lässet,
wovon wir einen Begriff ( notio) haben,
ob wir gleich dabey keinen Begriff eines
andern Dinges voraus setzen, oder, dessen
Erklärung eines bestehenden Dinges nach den Sätzen Spinozas.




|12| Begriff in keine andere kann aufgelöset werden.
So lässet nach ihm der Begriff der
Ausdehnung sich in keine andere Begriffe auflösen,
eben wie Descartes geglaubet hat:
und also stellet sich der Verstand durch die
Ausdehnung etwas vor, welches in sich selbst
ist, oder ein bestehendes Ding; wie dann
auch die Cartesianer die Ausdehnung für ein
bestehendes Ding halten. Er machet zwar
die Ausdehnung zu einer Eigenschaft Gottes:
es erhellet aber besser unten (30), daß nach
seiner Meinung eine iede von den Eigenschaften
eines einzelen bestehenden Dinges für sich
gedacht werden müsse, und auch das bestehende
Ding nicht anders, als durch die Eigenschaft
mittelst des Verstandes könne begriffen
werden (§ 673). Die Eigenschaft setzet daher
seinen Gedanken nach nichts in dem Dinge
voraus, warum sie in demselben ist, und
also wird nach ihm das Wesen des bestehenden
Dinges in dem Verstande vorgestellet,
und dasjenige, was sich als die begriffene Sache
auf den Begriff beziehet, ist in dem bestehenden
Dinge selbst zu finden.

§ 675.

~ Durch die Ursache seiner selbst,
oder das von sich selbst seyende Ding,
verstehet Spinoza dasjenige, dessen
Wesen zugleich das Daseyn in sich
Was bey Spinoza die Ursache seiner selbst sey.




|13| schließet: oder, dessen Natur man
nicht anders, als daseyend, gedenken
kann. Sittenl. (1).
~ Daß Spinoza dasjenige eine Ursache seiner
selbst nenne, was bey uns den Namen
eines von sich selbst seyenden Dinges führet:
das erhellet aus den Erklärungen derselben,
welche beyderseits einerley sind. Denn wir
haben das von sich selbst seyende Ding durch
dasjenige erkläret, welches durch seine eigene
Kraft da ist, oder welches keiner Kraft eines
andern Dinges bedarf, um da zu seyn (§ 27
des 1 Th. der nat. Gottesgel.): und hieraus
haben wir hergeleitet, daß es den Grund des
Daseyns in seinem Wesen habe (§ 31, 1 Th.
nat. Gottesg.), und folglich, wenn das Wesen
gesetzet wird, auch zugleich das Daseyn
gesetzet werde (§ 118 Grundl.). Das von
sich selbst seyende Ding kann daher nicht anders,
als daseyend, gedacht werden und sein
Wesen schließet zugleich das Daseyn in sich:
folglich ist es eben dasselbe, welches Spinoza
die Ursache seiner selbst nennet.

§ 676.

~ Durch die Weise verstehet Spinoza
dasjenige, was in einem andern
ist, durch welches man auch solches
gedenket. Sittenl. (5).
Was die Weise nach Spinozas Lehrsätzen sey.




|14| ~ Was dieses heiße, in einem andern seyn,
das erkläret Spinoza nicht. Da aber derselbe
die Eigenschaften der Weise entgegen
setzet, und zugleich behauptet, daß man außer
den Eigenschaften und Weisen sich weiter
nichts von dem bestehenden Dinge gedenken
könne: so lässet sich aus diesem Gegensatze
verstehen, was es bedeuten solle. Nämlich,
die Eigenschaft setzet weiter nichts voraus,
wodurch man verstehen müßte, warum sie
sich in einer Sache oder einem bestehenden
Dinge befindet: folglich kann kein Grund
angegeben werden, warum sie darinnen zu
finden ist (§ 56 Grundl.); und also saget
man, daß sie für sich selbst darinnen sey und
für sich selbst sich gedenken lasse. Daher setzet
die Weise etwas anderes voraus, wodurch
man verstehen muß, warum sie in dem Dinge
ist, und also hat sie ihren Grund, warum sie
darinnen ist, in etwas anderem (daselbst).

§ 677.

~ Ein nach seiner Art endliches Ding
nennet Spinoza dasjenige, welches
durch ein anderes von gleichem Wesen
Grenzen erhalten kann. So
heißet er zum Beyspiele den Körper
endlich, weil man sich immer einen
größern gedenket. Sittenl. (2).
Was bey Spinoza endlich sey.




|15| ~ Man erkennet leicht, daß das Endliche
bey Spinoza eben dasjenige sey, als, was
Grenzen hat. Da nun aber die Grenzen
einen Mangel des Wirklichen anzeigen, welches
in einem andern von gleichem Wesen
als gegenwärtig gedacht wird; wie der Mangel
einer weitern Ausdehnung bey dem Körper
ist: so hätte derselbe das endliche Ding
besser erklären können durch dasjenige, welches
man sich nicht größer gedenken kann,
wie dieses auch das von ihm angeführte Exempel
an die Hand giebet. Seine Erklärung
aber ist verfänglich und betrieglich, indem derselbe
erfodert, daß das Ding durch ein anderes
von gleichem Wesen könne begrenzet werden.
Nämlich, es wird dabey stillschweigends
vorausgesetzet, daß alle Begrenzungen einen
gewissen Grund, oder nach seiner Redensart,
eine gewisse Ursache haben müssen. Überhaupt
ist zu merken, daß Spinoza seine Erklärungen
nach seinem Lehrgebäude, welches
er bereits vorher in seinen Gedanken abgefasset
hatte, eingerichtet hat, damit er solches
aus demselben, als aus vorausgesetzten Gründen,
erweisen könne: er hat sie aber nicht
aus den Sachen selbst hergeleitet, und hernach
seine Sätze daraus hergeführet, wie es
hätte geschehen sollen. Nämlich, es ist bekannt,
daß er sich fleißig auf Descartes Weltweisheit
legte und seine Gedanken von den
Grundsätzen desselben voll hatte. Nun weis



|16| man, daß Descartes alles, was sich von den
daseyenden Dingen erkennen lässet, auf zweene
Begriffe, nämlich den Begriff der Ausdehnung,
und den Begriff des Denkens, geführet
habe. Dabey lehrete er aber, daß ein iedes
bestehendes Ding eine gewisse Haupteigenschaft
habe, welche die Natur und das
Wesen derselben ausmachet, und worauf die
übrigen alle gebracht werden. Aus dieser Eigenschaft,
sagte er, müsse man das bestehende
Ding erkennen. Nämlich die Ausdehnung
in die Länge, Breite und Tiefe mache die Natur
eines körperlichen bestehenden Dinges aus,
und das Denken die Natur eines denkenden
bestehenden Dinges. Alles übrige, was man
von den Körpern sagen kann, setze die Ausdehnung
voraus, und sey nur eine gewisse
Weise eines ausgedehnten Dinges: gleichwie
alles, was wir in der Seele antreffen, nur
bloß verschiedene Weisen zu denken seyen.
Man sehe seine Anfangsgründe der Weltweisheit,
I Th. § 52, 53, 54. Ferner weis
man, daß Descartes behauptet hat, die Wahrheit
werde durch eine klare und deutliche Empfindung
erkannt: daher er dasjenige für
wahr hielte, was klar und deutlich empfunden
wird, und sagte, man vermeide den Irrthum
dadurch, daß man nichts als wahr annehme,
als was man klar und deutlich empfindet
(daselbst, § 30). Endlich ist bekannt,
daß Descartes außer den Begriffen



|17| der Ausdehnung und des Denkens, auch den
Begriff eines höchst vollkommenen Wesens
angenommen habe, welches das nothwendige
und ewige Daseyn in sich schließe, und dieses
ist der Begriff von Gott (daselbst, § 14).
Von diesem räumet er daher alles dasjenige
weg, worinnen er einige Unvollkommenheit
oder Einschränkung antrifft (das. § 23), und
behauptet, daß dasselbe von allem dem, was
da ist und seyn kann, die wahre Ursache sey
(das. § 24). Dieser Begriff von Gott, saget
er, sey klar und deutlich, wenn wir uns
nur hüten, daß wir nicht annehmen, als wenn
derselbe alles enthielte, was in Gott ist; noch
auch etwas, als wenn es in Gott zu finden
wäre, erdichten: sondern nur allein auf dasjenige
Acht haben, was wirklich darinnen
enthalten ist, und wovon wir offenbar empfinden,
daß es zu der Natur des höchst volkommenen
Wesens gehöre (das. § 54). Um
dieser Grundsätze willen verwirft derselbe die
bewegende Kraft, welche in den Körpern lieget,
weil wir keinesweges klar und deutlich
empfinden, wie solche aus der Ausdehnung
folge: daher bringet er die Bewegung, auf
welche die Veränderung aller Materie und
die Verschiedenheit aller wesentlichen Formen
ankommt (das. 2 Th. § 23), auf Gott, als
ihre erste Ursache (das. § 36). Daß Spinoza
diese Begriffe sich fest in das Gemüthe
gepräget habe: das werden diejenigen zur



|18| Genüge wahrnehmen, welche bey Durchlesung
seiner Sittenlehre auf alles genau Acht
haben. Da nun derselbe überlegte, daß wir
von der eigentlich so genannten Schöpfung,
welche die Gottesgelehrten die erste Schöpfung
nennen, das ist, der Hervorbringung
aus Nichts (§ 697 vern. Seelenl.), keinen
klaren und deutlichen Begriff haben: so verwarf
er den Begriff einer erschaffenden Kraft,
als von den Menschen erdichtet, und glaubte,
man könne sie Gott nicht mit Recht beylegen.
Weil aber weder der Begriff der Ausdehnung,
noch der Begriff des Denkens, das Daseyn
in sich schließet: so konnte er auch nicht einräumen,
als wenn aus diesen Begriffen folgte,
daß etwas ausgedehntes oder ein gewisser
Gedanke auf gewisse und bestimmte Weise
nothwendig da wäre; folglich erkannte er
auch das körperliche bestehende Ding und
das endliche denkende bestehende Ding, nicht
für nothwendige oder unerschaffene Dinge.
Es blieb also nichts weiter übrig, als daß er
ein einziges bestehendes Ding annahm, nämlich
Gott, zu dessen Wesen das nothwendige
Daseyn mit gehöret, und behauptete, daß
dieser die unendliche Ausdehnung und das
unendliche Denken in sich hielte, durch welcher
beyder unendliche Abwechselung der Weisen,
die besondern Dinge entsprängen, welche
man Körper und Seelen nennet. Nachdem
er nun diese Sätze in seinem Gemüthe festgesetzet



|19| hatte: so änderte er Descartes Erklärungen
nach denselben, so weit es diese erfoderten;
und hieraus sind nun die kurz zuvor
angeführten Erklärungen entstanden, welche
nach diesen Sätzen eingerichtet sind, wie ein
aufmerksamer Leser solches deutlich genug erkennen
wird, wenn er nur dieselben mit dem,
was itzo gesaget worden, zusammen halten
will. Die Spinozisterey ist also entsprungen
aus der Unmöglichkeit der Schöpfung,
verbunden mit den Grundsätzen der cartesischen
Weltweisheit, und zwar durch den
Mißbrauch des Kennzeichens der Wahrheit,
welches in dieser Weltweisheit festgesetzet ist.
Daher muß derjenige, welcher die Spinozisterey
umstürzen will, entweder die Wirklichkeit
des Begriffs einer erschaffenden Kraft erweisen:
oder er muß zeigen, daß in Descartes
Grundsätzen solche Dinge enthalten seyen,
welche der Wahrheit entgegen sind. Wenn
man diese verbessert, und dasjenige, was irrig
ist, daraus weggeschaffet hat: so folget,
daß wir eine Schöpfung annehmen müssen,
ob wir sie gleich nicht klar und deutlich empfinden;
so gut als andere Dinge, deren wir
uns gar wohl bewußt sind.

§ 678
.
~ Einen Spinozisten nennet man
denjenigen, welcher die Spinozisterey
Wen man einen Spinozisten nennet.




|20| für wahr annimmt, oder, welcher
die Lehrsätze Spinozas für wahr
hält.
~ Denn, gleichwie diejenigen Copernicaner
genennet werden, welche die Sätze Copernicus
von dem Stillestehen der Sonnen und der
Bewegung der Erde, sowol um ihre Achse
als um die Sonne, vertheidigen: also muß
auch derjenige ein Spinozist heißen, welcher
die Sätze Spinozas von dem Ursprunge aller
Dinge aus Gott annimmt. Worinnen
die Spinozisterey bestehe, das ist vorhin (§
671) gesaget worden, und daraus erhellet,
was einer für wahr halten muß, wenn er
den Namen eines Spinozisten verdienen soll.
Weil Spinoza eine blinde Nothwendigkeit
aller Dinge behauptet und die Freyheit der
Seele geleugnet hat: so pfleget man öfters
denjenigen einen Spinozisten zu nennen, welcher
die blinde Nothwendigkeit aller Dinge
vertheidiget, und solche sogar bis auf die Handlungen
der Menschen ausdehnet. Allein, da
dieser Irrthum Spinoza nicht allein eigen ist,
sondern auch bey vielen andern angetroffen
wird, welche in den Stücken von Gott und
der Natur der Dinge mit Spinoza nicht einerley
Meinung sind; und derselbe Irrthum
bereits oben (§ 528) mit dem Namen der
allgemeinen Fatalisterey beleget und dadurch
von andern unterschieden worden ist: so können



|21| und dürfen wir diese Bedeutung nicht zulassen,
damit nicht einer, welcher die allgemeine
Fatalisterey glaubet, in den Verdacht
gerathe, als wenn er von Gott und der Natur
der Dinge mit Spinoza einerley Gedanken
hegte. Weil auch Spinoza durch eine
Folgerung beygemessen wird, daß er Gott
mit der Natur vermeget habe: so pfleget
man demjenigen ebenfals den Namen eines
Spinozisten zu geben, von welchem man
glaubet, daß er Gott mit der Natur vermenge.

§ 679
.
~ Spinoza vermenget die Eigenschaft
mit den wesentlichen Bestimmungen.
Denn er erkläret die Eigenschaft
durch dasjenige, was der Verstand
von einem bestehenden Dinge auf solche
Art begreifet, daß er das Wesen desselben
ausmachet (§ 673). Da nun seiner
Meinung nach, ein bestehendes Ding
sich für sich gedenken lässet (§ 674): so
folgert er daher (Sittenl. 30), daß eine
iede Eigenschaft eines bestehenden Dinges
für sich müsse gedacht werden. Dasjenige
aber wird für sich selbst gedacht,
dessen Erkenntniß die Erkenntniß keines
andern Dinges bedarf, wie er solches
Fehler Spinozas bey Erklärung der Eigenschaft.




|22| anderswo erkläret (Sittenl. 28): das
ist, nach unserer Art zu reden, wovon
kein Grund vorhanden ist, warum es
sich in dem Dinge befindet, sondern welches
das Erste ist, was man von demselben
gedenket. Das Erste aber, welches
sich von einem Dinge gedenken lässet,
ist das Wesen desselben (§ 144
Grundl.): und warum das Wesentliche
oder die wesentlichen Bestimmungen,
welche das Wesen ausmachen (§ 143
Grundl.), darinnen sind, davon ist kein
innerer Grund vorhanden (§ 156
Grundl.). Daher vermenget derselbe
die Eigenschaft mit den wesentlichen Bestimmungen.
~ Wir sollten nicht denken, daß iemand einen
Anstoß darinnen finden werde, daß wir
gesaget haben: für sich selbst gedacht werden,
sey nach unserer Art zu reden eben so viel,
als keinen innern Grund haben, warum es
sich in dem Dinge befindet. Denn wenn
kein innerer Grund vorhanden ist, warum es
sich darinnen befindet: so ist nichts in dem
Dinge anzutreffen, woraus man verstehen
kann, warum es darinnen ist (§ 56 Grundl.).
Man darf also nichts in dem Dinge voraus
setzen, wenn man erkennen will, daß es darinnen
seyn müsse: daher lässet sich solches erkennen



|23| ohne vorausgesetzte Erkenntniß eines
andern, und folglich bedarf die Erkenntniß
desselben die Erkenntniß eines andern Dinges
nicht im mindesten. Nun wird aber dasjenige
nach Spinoza für sich selbst gedacht,
dessen Erkenntniß die Erkenntniß eines andern
Dinges nicht bedarf (Sittenl. 28): daher
wird, nach unserer Art zu reden, dasjenige
für sich selbst gedacht, wovon kein innerer
Grund in dem Dinge vorhanden ist, warum
es sich darinnen befindet. Es kann also kein
Zweifel mehr übrig seyn, daß Spinoza dasjenige
die Eigenschaft nennet, was wir mit
dem Namen des Wesentlichen oder des Wesens
beleget haben (§ 143 Grundl.), so wie
es der bey den Weltweisen eingeführten Bedeutung
gemäß ist (§ 169 Grundl.): und
diese ist aus den Dingen selbst mit Zustimmung
der Vernunft hergeleitet, wie aus unsern
in der Grundlehre gegebenen Beweisen
überflüssig erhellet (§ 142 Grundl.); und
nicht, wie Spinoza thut (Anm. zu § 677),
einer vorhergefaßten Meinung zu gefallen
willkührlich erdichtet worden. Zwar sind die
Namenerklärungen willkührlich, und also
scheinet nichts daran zu liegen, daß Spinoza
dasjenige eine Eigenschaft nennet, was insgemein
mit dem Namen des Wesens beleget
wird: denn was man von dem Wesen erweiset,
das muß nach Spinozas Sinne von der
Eigenschaft verstanden werden; auf welche



|24| Weise es scheinet, daß eben dieselbe Wahrheit
fest stehe, ob sie gleich mit verschiedenen
Wörtern ausgedrücket wird. Dieses würde
freylich so seyn, wenn nur nicht die Namenerklärungen
(sonderlich wenn sie mit zweydeutigen
Worten abgefasset werden, dergleichen
Spinozas Erklärungen sind, wie niemand
leugnen wird, welcher die gehörige
Scharfsinnigkeit bey Beurtheilung derselben
gebrauchet) aus Irrthum mißbrauchet würden.
Denn bey den Begriffen, und also
auch bey den Erklärungen (§ 152 Vernunftl.),
muß vorher ihre Wirklichkeit gezeiget werden
(§ 717 u. f. Vern.), ehe man sie, andere Wahrheiten
daraus herzuleiten, anwendet, damit
man nicht betriegliche Begriffe für wahre gebrauchet
und dadurch in Irrthümer verfället
(§ 629 Vern.): zumal da man aus einer
Namenerklärung noch nicht sehen kann, daß
die Sache möglich ist (§ 191 Vern.). Descartes
aber, dessen Grundsätze Spinoza annimmt,
so weit es seine Lehrsätze verstatten,
nach welchen er dieselben geändert hat (Anm.
zu § 677), hält einen Begriff für wirklich,
wenn er etwas klar und deutlich empfindet
( percipit), oder wie es Spinoza lieber ausdrücket,
begreifet ( concipit), da doch derselbe
die klare und deutliche Empfindung nicht
genugsam erkläret hat. Daher ist auch Spinoza
wenig darum besorget, wie er die Wirklichkeit
seiner Erklärungen erweisen möge:



|25| sondern gebrauchet solche als zugegebene Gründe.
Man hat also die Vermengung, welche
derselbe mit dem Wesentlichen und der Eigenschaft
gemacht hat, wohl zu merken. Diese
Vermengung der Eigenschaft mit den wesentlichen
Bestimmungen kann kein Spinozist
leugnen. Denn Spinoza saget ausdrücklich:
die Eigenschaft begreife man als etwas, welches
das Wesen des bestehenden Dinges ausmachet
(§ 673); nun machet aber das Wesentliche,
oder, welches einerley ist, die wesentlichen
Bestimmungen (§ 122 Grundl.),
das Wesen des Dinges aus (§ 143 Grundl.).

§ 680.

~ Der Begriff des bestehenden Dinges
wird in der Erklärung Spinozas
mit Unrecht in den Begriff der Eigenschaft
hinein gebracht. Denn
Spinoza vermenget die Eigenschaft mit
den wesentlichen Bestimmungen, welche
das Wesen des Dinges ausmachen (§
143 Grundl.): daß also bey ihm die Eigenschaft
dasjenige ist, was sonst das
Wesen des Dinges heißet, und daher
das Erste, was sich von dem Dinge gedenken
lässet (§ 144 Grundl.). Nun
kann aber dasjenige, was zu dem Begriffe
des Dinges gehöret, ohne den Begriff
Der andere Fehler.




|26| des bestehenden Dinges verstanden
werden, wie aus den Beweisen in der
Grundlehre, welche im 3 Cap. des 1 Th.
2 Abschn, derselben stehen, zur Genüge
erhellet: ja, der Begriff des bestehenden
Dinges, welcher der Gewohnheit zu reden
gemäß ist (§ 771 Grundl.), setzet
vielmehr den Begriff des Dinges voraus
(§ 768 Grundl.). Daher wird in
der Erklärung Spinozas in den Begriff
der Eigenschaft der Begriff des bestehenden
Dinges mit Unrecht hineingebracht.
~ Spinoza setzet nicht ohne Ursache den Begriff
des bestehenden Dinges in den Begriff
der Eigenschaft. Denn, da er die Wirklichkeit
seiner Erklärungen bloß annimmt, und
nicht beweiset, aus der Ursache, weil er glaubet,
er begreife dasjenige, was in den Erklärungen
enthalten ist; und dabey sich einbildet,
dasjenige sey wahr, was wir begreifen
oder wovon wir einen Begriff haben, oder
wenn man mit Descartes reden will, was
wir klar und deutlich empfinden: so dienet
ihm die Erklärung der Eigenschaft auf solche
Art, seine Lehrsätze daraus zu beweisen, da sie
sonst diesen Nutzen nicht haben würde. Wer
also die irrigen Schlüsse desselben entdecken
will: der hat den gegenwärtigen Lehrsatz wohl
zu merken.



|27|
§ 681.

~ Spinoza unterscheidet die Weisen
nicht von den eigentlich so genannten
Eigenschaften. Er erkläret die Weise
durch dasjenige, was in einem andern
ist, wodurch man auch solches gedenket
(§ 676). Weil bey demselben alles,
was da ist, entweder in sich selbst, oder
in etwas anderem ist (Sittenl. 11): so
setzet er dieses beydes, in sich selbst seyn
und in einem andern seyn, einander entgegen.
Da nun derselbe saget, dasjenige
sey in sich selbst und werde für sich
selbst gedacht, dessen Erkenntniß die Erkenntniß
keines andern Dinges bedarf
(Sittenl. 28): so muß man, in einem
andern seyn und durch etwas anderes
begriffen werden, dasjenige nennen, dessen
Erkenntniß die Erkenntniß des andern
bedarf, und also, dadurch etwas
anderes verstanden wird, was man als
in dem Dinge seyend begreifet; folglich
hat dasjenige, was darinnen ist, in etwas
anderem seinen zureichenden Grund,
warum es darinnen ist oder wenigstens
darinnen seyn kann. Was aber außer
dem Wesentlichen in dem Dinge ist, das
gehöret entweder zu den eigentlich so genannten
Fehler Spinozas bey Erklärung der Weise.




|28| Eigenschaften, oder zu den
Weisen (§ 149 Grundl.). Die Eigenschaften
haben ihren zureichenden Grund,
warum sie darinnen sind, in dem Wesentlichen
(§ 157 Grundl.), und also muß
man sie mit dem Wesentlichen zugleich
in das Wesen setzen (§ 118 Grundl.).
In eben demselben Wesentlichen aber ist
nur bloß der zureichende Grund enthalten,
warum die Weisen in dem Dinge
seyn können (§ 160 Grundl.); folglich,
wenn man das Wesentliche setzet, so
wird nur allein die Möglichkeit derselben
gesetzet (§ 118 Grundl.). Die Weisen
sind also von den Eigenschaften, so ferne
man diese von dem Wesentlichen unterscheidet,
unterschieden und müssen mit
Fleiße von einander abgesondert werden.
Daher ist klar, daß Spinoza die Weisen
von den eigentlich so genannten Eigenschaften,
so ferne nämlich diese von
dem Wesentlichen abgesondert werden,
nicht unterscheidet.
~ Wir sehen also, daß Spinoza in dem Begriffe
des Dinges alles unter einander menget,
und Unvorsichtige und der Lehrart Unerfahrne
mit dunkeln und zweydeutigen Worten hintergehet.
Wer die Begriffe der Grundlehre,



|29| welche wir bey Abhandlung derselben zur
Deutlichkeit gebracht haben, sich wohl bekannt
gemacht hat: der wird sich vor der Spinozisterey
gar leicht hüten, als welche der Verabsäumung
der Gründe der Weltweisheit zuzuschreiben
ist. Hieraus erhellet, wie sehr Descartes
der Wahrheit verfehlet habe, wenn er
sich und andere überreden wollen, daß die Begriffe
in der Grundlehre keiner großen Erläuterung
bedürften, sondern für sich selbst schon
deutlich genug wären.

§ 682.

~ Spinoza setzet die Weise dem bestehenden
Dinge entgegen, und vermenget
dieselbe mit dem von einem
andern seyenden Dinge. Denn er
erkläret die Weise durch dasjenige, was
in einem andern ist, durch welches man
auch solches gedenket (§ 676): das bestehende
Ding aber durch dasjenige,
was in sich selbst ist und für sich selbst sich
gedenken lässet (§ 674). Da nun alles,
was da ist, entweder in sich selbst oder
in etwas anderem ist (Sittenl. 11);
und dasjenige, was sich nicht durch ein
anderes gedenken lässet, durch sich selbst
muß gedacht werden (das. 12): so ist
die Weise nicht in sich selbst, noch lässet
Ein anderer Fehler.




|30| sich auch für sich gedenken. Spinoza
verneinet also von der Weise, was er
von dem bestehenden Dinge bejahet (§
205 Vern.). Da nun dasjenige entgegengesetzte
Sätze sind, in deren einem
verneinet wird, was in dem andern bejahet
wird (§ 288 Vern.): so sind diese
zween Sätze; A ist in sich selbst und lässet
sich durch sich selbst gedenken, und A
ist nicht in sich selbst und lässet sich nicht
durch sich selbst gedenken, einander entgegengesetzet.
Daher ist klar, daß Spinoza
die Weise dem bestehenden Dinge
entgegen setzet. Welches das erste war.
~ In etwas anderem seyn und durch
ein anderes gedacht werden, kann aus
dem Grunde, weil die Weise durch dasjenige
erkläret wird, was in einem andern
ist, durch welches man auch solches
gedenket (§ 676), nicht ganz und gar
einerley bedeuten: denn sonst könnte
man von demjenigen, was in einem andern
ist, nicht die Aussage thun, daß es
durch ein anderes sich gedenken ließe (§
198, 225 Vern.). Dasjenige wird
durch ein anderes gedacht, was sich nicht
erkennen lässet, wenn nicht die Erkenntniß



|31| einesn andern vorausgesetzet wird
Sittenl. 28): das ist, nach unserer Art
zu reden, was den Grund, warum es
ist, in etwas anderem hat, wie bereits
vorhin ist erinnert worden (Anm. zu §
679). Da nun, wenn man den zureichenden
Grund setzet, auch dasjenige zugleich
gesetzet wird, was kraft desselben
vielmehr ist als nicht ist (§ 118 Grundl.):
so muß, wenn man jenen setzet, auch
dieses in der That mit gesetzet werden;
wenn man aber jenen nur bloß also betrachtet,
daß er gesetzet werden könnte;
so kann man auch dieses nicht anders ansehen,
als so ferne es gesetzet werden
kann, und folglich bloß der Möglichkeit
nach. Wenn also gesaget wird; daß
etwas durch ein anderes sich gedenken
lasse: so erkennet man daraus deutlich
genug, daß man es sonst nicht als möglich
begreifen könne, als durch etwas
anderes, dessen Möglichkeit uns bereits
bekannt ist; und also muß, in einem
andern seyn, nicht eine bloße Möglichkeit,
sondern etwas anderes ausdrücken:
folglich beziehet es sich zugleich auf das
Daseyn. In einem andern seyn, bedeutet
also zugleich, daß der zureichende



|32| Grund des Daseyns in etwas anderem
zu suchen sey: folglich daß dasjenige,
was in einem andern ist, um da zu seyn,
die Kraft eines andern bedürfe. Nun
ist aber dieses das von einem andern
seyende Ding, welches, um da zu seyn,
die Kraft eines andern nöthig hat (§
27, 1 Th. nat. Gottesg.). Daher erhellet,
daß Spinoza die Weise mit dem
von einem andern seyenden Dinge vermenge.
Welches das andere war.
~ Je mehr wir also Fleiß und Scharfsinnigkeit
anwenden, Spinozas Erklärungen
zu untersuchen, desto mehr Verwirrung der
Begriffe, welche von einander unterschieden
werden sollten, treffen wir in denselben an.
Wenn man aber hierinnen beydes an sich ermangeln
lässet: so kann man leicht überredet
werden, als wenn aus denselben richtig geschlossen
würde, was doch daraus nicht geschlossen
werden kann; folglich wird man
sich falsche Waare für gute verkaufen lassen.
Man hat also die Mühe nicht für vergeblich
anzusehen, welche auf die Untersuchung der
Erklärungen Spinozas gewendet wird. Dem
bestehenden Dinge wird das zufällige Ding
entgegen gesetzet (§ 768 Grundl.), und dem
von sich selbst seyenden Dinge, das von einem
andern seyende Ding (§ 27, 1 Th. nat.



|33| Gottesg.). So lange also nicht erwiesen ist,
daß alle bestehende Dinge ein von sich selbst
seyendes Ding seyen, dergestalt, daß man
ein von sich seyendes Ding und ein bestehendes
Ding für gleichgültige Wörter halten
könne (§ 330 Vern.): so lange kann man
auch die Weise demselben nicht entgegen setzen,
so ferne sie als ein von einem andern
seyendes Ding betrachtet wird. Da über
dieses sowol die Eigenschaften, als die Weisen,
zufällige Dinge sind (§ 779 Grundl.);
und Spinoza die Eigenschaften mit den wesentlichen
Bestimmungen, welche das Wesen
der Dinge ausmachen (§ 143 Grundl.), mit
Unrecht vermenget (§ 679); imgleichen,
die Weisen von den eigentlich so genannten
Eigenschaften nicht unterscheidet (§ 681):
so kann man auch die Weisen allein dem bestehenden
Dinge nicht mit Recht entgegen
setzen, als wenn der Verstand sich sonst nichts
vorstellete, außer was entweder ein bestehendes
Ding, oder eine Weise desselben wäre.

§ 683.

~ Spinoza nimmt das bestehende
Ding nicht in der gewöhnlichen Bedeutung.
Denn, wenn man das bestehende
Ding in der gewöhnlichen Bedeutung
nimmt: so wird durch dieses
Wort ein Ding verstanden, welches beständige
Fehler Spinozas bey Erklärung des bestehenden Dinges.




|34| und veränderliche innere Bestimmungen
in sich fasset (§ 769, 771
Grundl.); das ist, worinnen einige Stücke
einerley bleiben, nämlich das Wesentliche
und die Eigenschaften, da inzwischen
die übrigen sich wechselweise ändern,
nämlich die Weisen (§ 770
Grundl.). Allein, bey Spinoza ist ein
bestehendes Ding dasjenige, was in sich
selbst ist und für sich selbst sich gedenken
lässet (§ 674): das ist, wie er es selbst
erkläret (Sittenl. 28), dessen Erkenntniß
die Erkenntniß keines andern Dinges
bedarf; und also dasjenige, welches
man als dem Dinge anhängend begreifet,
obgleich nichts in demselben vorausgesetzet
wird, wodurch man verstehen
müßte, warum es darinnen wäre: eben
wie das Wesentliche begriffen wird (§
156, 56 Grundl.). Es ist also klar,
daß Spinoza bey dem Begriffe des bestehenden
Dinges nur bloß seine Gedanken
auf die wesentlichen Bestimmungen
richtet, und die Eigenschaften und Weisen
beyseite setzet, auf welche doch bey
der gewöhnlichen Bedeutung zugleich
mit gesehen werden muß, nach dem, was
bereits erwiesen worden. Es erhellet



|35| daher, daß derselbe das bestehende Ding
nicht in der gewöhnlichen Bedeutung
nimmt.
~ Es ist also kein Wunder, daß derselbe von
dem bestehenden Dinge solche Aussagen thut,
welche in der gewöhnlichen Bedeutung von
demselben nicht können erwiesen werden: als,
daß es der Zahl nach ein einziges sey; imgleichen,
daß es nothwendig da sey, oder als
nicht daseyend sich nicht gedenken lasse. Man
sehe seine Sittenl. 22, 25. Denn daraus,
daß in einem Dinge einige Bestimmungen einerley
bleiben, da inzwischen andere sich wechselweise
ändern, wird niemand den Schluß
machen, daß solches nothwendig da seyn
müsse, noch auch, daß es als nicht daseyend
nicht könne gedacht werden, oder daß nicht
mehr als ein einziges dergleichen Ding seyn
könne. Ja, wenn auch iemand dieses vergebens
annehmen wollte: so würde ihm die
Erfahrung zuwider seyn.

§ 684.

~ Spinoza vermenget das bestehende
Ding mit dem von sich selbst seyenden
Dinge. Zwey Stücke erfodert
Spinoza zu dem bestehenden Dinge,
nämlich, daß etwas in sich selbst sey,
Noch ein anderer Fehler Spinozas bey Erklärung des bestehenden Dinges.




|36| und, daß es für sich selbst sich gedenken
lasse (§ 674): folglich bedeutet, in sich
selbst seyn und für sich selbst gedacht werden,
nicht völlig einerley; eben wie aus
dem Beweise eines vorigen Satzes (§
682) erhellet, daß, in etwas anderem
seyn und durch ein anderes gedacht werden,
nicht ganz und gar einerley bedeuten.
Da nun derselbe, in sich selbst
seyn und in etwas anderem seyn, einander
entgegen setzet (Sittenl. 11); und
in etwas anderem seyn so viel heißet,
daß dasjenige, was in einem andern ist,
um da zu seyn, die Kraft eines andern
bedürfe, wie wir in dem Beweise eines
vorigen Satzes (§ 682) gezeiget haben:
so muß in sich selbst seyn so viel bedeuten,
daß dasjenige, was in sich selbst ist, dazu,
daß es da ist, die Kraft eines andern
nicht bedürfe; folglich, daß es durch
seine eigene Kraft da sey. Was aber
durch seine eigene Kraft da ist, das ist
ein von sich selbst seyendes Ding (§ 27,
1 Th. nat. Gottesgel.). Spinoza vermenget
daher das bestehende Ding mit
dem von sich selbst seyenden Dinge.
~ Da Spinoza das von sich selbst seyn, mit
nicht gar zu deutlichen und zweydeutigen



|37| Worten in die Erklärung des bestehenden
Dinges hinein bringet: was ist es dann noch
Wunder, daß er aus demselben ein nothwendig
daseyendes Ding machet? indem das
nothwendige Daseyn (§ 32, 1 Th. nat. Gottesg.)
und das Daseyn kraft des Wesens, ein
eigener Vorzug des von sich selbst seyenden
Dinges ist (§ 31, 1. Th. nat. Gottesg.).

§ 685.

~ Spinoza erkläret das Endliche,
oder das, was Grenzen hat, unrichtig
und zweydeutig. Denn er erkläret
ein nach seiner Art endliches Ding
durch dasjenige, welches durch ein anderes
von gleichem Wesen Grenzen erhalten
kann (§ 677). Allein in der
Mathematik nennet man dasjenige endlich,
von welchem die Grenzen angegeben
werden können, wo es anfängt und
wo es aufhöret, oder über welche es
kann vergrößert werden (§ 798 Grundl.).
Die Grenzen der Linie sind Punkte (§
11 Geom.). Wenn man also auf einer
Fläche zweene Punkte angeben kann, wo
die Linie anfänget und wo sie aufhöret:
so wird deswegen die Linie endlich oder
begrenzet genennet. Und also nennet
Mangel in der Erklärung des Endlichen bey Spinoza.




|38| man eine Sache endlich oder begrenzet,
so ferne den innerlichen Bestimmungen,
durch welche man sich solche gedenket (§
142 Grundl.), Grenzen oder Schranken
ankleben, über welche das Wirkliche
derselben sich keinesweges erstrecket (§
468 Grundl.). Gleichwie nun eine
Linie nicht deswegen endlich heißet, weil
sie durch eine andere Linie Grenzen erhalten
könnte; sondern, weil man sich
an beyden Enden Grenzen gedenket, über
welche sie sich nicht erstrecket: also kann
auch eine iede andere Sache nicht deswegen
endlich genennet werden, weil sie
durch eine andere von gleichem Wesen
Grenzen erhielte, oder es sich gedenken
ließe, daß sie diese Grenzen erhalten
könnte; sondern, weil derselben Grenzen
ankleben, über welche das Wirkliche,
welches man in ihr begreifet, nicht kann
vergrößert werden. Wenn es auch geschiehet,
daß es einer Sache nicht widerspricht,
daß an ihren Grenzen oder
Schranken, über welche ihr Wirkliches
sich nicht erstrecket, sich eine andere befindet:
so begreifet man nicht, daß solches
deswegen geschehe, weil die Sache
sich an ihren Grenzen befindet; sondern



|39| es ist vielmehr daraus klar, weil sie Grenzen
hat, wodurch dasjenige, was sie
Wirkliches besitzet, eingeschränket wird,
daß eine andere an ihren Grenzen vorhanden
seyn kann. Wenn eine gerade
Linie auf einer Fläche nicht an beyden
Seiten in zweenen gegebenen Punkten ihre
Grenzen hätte: so könnte man auch
durch ihre Grenzen, das ist, durch dieselben
Punkte, nicht andere gerade Linien
ziehen, über welche die Länge der
endlichen Linie sich nicht erstrecket. Daher
erkläret Spinoza das nach seiner Art
endliche Ding unrichtig, daß es durch
ein anderes von gleichem Wesen Grenzen
erhalten könne: da er es vielmehr
also hätte erklären sollen, daß dem Wirklichen,
durch welches man es sich gedenket,
für sich selbst Grenzen ankleben,
über welche sie nicht können vergrößert
werden; das ist, nach unserer Art zu
reden, daß den innern Bestimmungen,
welche in dem Begriffe desselben enthalten
sind, Grenzen ankleben, welche so
lange, als man nur eben dasselbe Ding
sich vorstellen will, sich nicht von ihnen
absondern lassen. Welches das erste
war.



|40| ~ Die Worte, daß ein Ding durch ein
anderes von gleichem Wesen Grenzen
erhalte, sind nicht deutlich genug, so daß
man nicht recht sehen kann, was sie bedeuten
sollen. Daher Spinoza solche
erläutern will, damit es nicht Schalle
ohne Verstand seyn mögen, und hinzusetzet:
ein Körper heiße deswegen endlich,
weil wir uns immer einen größern
gedenken. Ob nun gleich dieses wahr
ist (§ 825 Grundl.): so machet es doch
nicht, daß man die undeutlichen Worte,
welche die Erklärung ausdrücken, besser
verstünde; sondern es vermehrt vielmehr
die Dunkelheit derselben. Denn dadurch,
daß immer ein größerer, als der
gegebene Körper, kann gedacht werden,
lässet sich nicht verstehen, warum seine
Größe Grenzen hat: sondern man kann
vielmehr deswegen einen größern gedenken,
weil die Größe diese Grenzen annehmen
kann, welche sich als darinnen
befindlich begreifen lassen, wenn man
gleich an keinen andern, welcher größer
ist, gedenket. Also kann, durch ein
anderes Ding von gleichem Wesen Grenzen
erhalten, nicht so viel heißen, als den
Grund von den Grenzen, welche an dem



|41| andern befindlich sind, in sich halten.
Allein auch dadurch, daß man sich einen
größern Körper gedenket, als der gegebene
ist, lässet sich verstehen, daß mit
ihm ein anderer Körper zugleich seyn
könne, welcher verhindere, daß derselbe
nicht größer sey, weil er sich an seinen
Grenzen befinde: weil die Worte dem
Ansehen nach ausgeleget werden müßten,
kraft dessen, was bey dem Beweise des
ersten Theils ist gesaget worden. Da
nun diejenigen Worte zweydeutig heißen,
deren Bedeutung nicht mit Gewißheit
kann bestimmet werden: so ist nicht
mehr zu zweifeln, daß Spinoza das nach
seiner Art endliche Ding, oder dasjenige,
welches Grenzen hat, zweydeutig
erkläre. Welches das andere war.
~ Diese Erklärung ist bey der Spinozisterey
von großer Wichtigkeit. Denn, wenn sich
iemand durch diese Zweydeutigkeit der Worte
hat verführen lassen: so räumet er hernach
die Unendlichkeit und Einheit des bestehenden
Dinges gar leicht ein, und nimmt die endlichen
Dinge aus der Zahl der bestehenden
Dinge heraus; folglich hält er dieselben für
abwechselnde Weisen in den Eigenschaften des
einzigen und unendlichen bestehenden Dinges,



|42| welches ganz allein vorhanden ist und vorhanden
seyn kann: und also bekennet er sich
zu der Spinozisterey (§ 671). Ich wollte
daher wünschen, daß meine Leser dasjenige
wohl überdächten, was von den andern sowol,
als hauptsächlich von der gegenwärtigen
Erklärung von uns ist beygebracht worden:
damit sie die Spinozisterey in ihrem
Grunde einsehen und erkennen möchten, wie
weit dieselbe von der Wahrheit entfernet sey.

§ 686.

~ Spinoza irret, wenn er annimmt.
daß ein nach seiner Art endliches
Ding immer durch ein anderes von
gleichem Wesen Grenzen erhalten
könne. Denn, wenn er die Erklärung,
worinnen er dieses annimmt, erläutern
will: so saget er; ein Denken erhalte
durch das andere Denken seine Grenzen,
aber der Körper könne durch kein Denken,
und das Denken durch keinen Körper
begrenzet werden. Diese zweydeutigen
Worte (§ 685) kann man kraft
der Anwendung, welche in einem hernach
folgenden Beweise (Sittenl. 26)
davon gemacht worden, nicht anders
verstehen, als daß ein endliches Ding
sich weder gedenken lasse, noch wirklich
Irrthum Spinozas bey Erklärung des Endlichen oder Begrenzten.




|43| da seyn könne, wenn man sich nicht zugleich
gedenke und wenn nicht zugleich
wirklich da sey ein anderes endliches Ding
von gleichem Wesen, in welchem dasjenige
befindlich sey, woraus verstanden
werden muß, warum vielmehr diese
Grenzen, als andere, in demselben vorhanden
sind; folglich, welches den zureichenden
Grund der Grenzen des andern
in sich hält (§ 56 Grundl.): und also,
da die Grenzen des andern, indem man
es setzet, zugleich als wirklich gesetzet werden
(§ 118 Grundl.), die Grenzen aber
einen Mangel der weitern Wirklichkeit
heißen (§ 468 Grundl.); welches verhindert,
daß keine größere Wirklichkeit
in dem andern Dinge seyn kann. Die
Seele ist nach Spinozas Redensart ein
denkendes Ding oder ein gewisses Denken,
und muß daher, als etwas endliches,
durch eine andere Seele ihre
Schranken erhalten; das ist, sie kann
weder gedacht werden, noch wirklich da
seyn, ohne eine andere Seele, welche
verhindert, daß dieselbe keine weitere
Schranken hat: folglich muß in der andern
Seele der zureichende Grund der
ursprünglichen Einschränkungen zu finden



|44| seyn, welche ihren wesentlichen Bestimmungen
ankleben. Allein, die Kraft
der Seele, worinnen das Wesen und die
Natur derselben bestehet (§ 66, 67 vern.
Seelenl.), erhält ihre äußern Schranken
durch den Stand des Leibes in der
Welt, so nämlich, daß sie nichts anderes
sich klar vorstellen kann, als was in denselben
Leib wirket, oder in seinen Gliedmaßen
eine gewisse Veränderung erreget:
und die innern Schranken erhält sie durch
die Beschaffenheit der sinnlichen Gliedmaßen,
so ferne nämlich diese und keine
andere Veränderungen denselben Gliedmaßen
eingepräget werden (§ 63 vern.
Seelenl.). Wer wird aber sagen, daß
diese Schranken in der Seele sich nicht
gedenken ließen, noch wirklich in derselben
seyn könnten, wenn nicht zugleich
gedacht würde und zugleich sich wirklich
befände eine andere Seele, welche verhinderte,
daß unsere Seele sich nicht
mehrere Gegenstände vorstellen kann,
als diejenigen, welche in die Gliedmaßen
der Sinne wirken, und dieses nicht klarer
und deutlicher, als es die Beschaffenheit
der sinnlichen Gliedmaßen leidet?
Vielmehr, da kein Grund erfodert wird,



|45| warum das Wesentliche sich in dem Dinge
befindet (§ 156 Grundl.): so begreifet
man, daß die gedachten Schranken
der Kraft der Seele für sich ankleben.
Spinoza bejahet also, was er hätte verneinen
sollen (§ 200 Vern.). Da nun
derjenige irret, welcher bejahet, was verneinet
werden sollte (§ 624 Vern.): so
irret Spinoza, wenn er in der Erklärung
des nach seiner Art endlichen Dinges
annimmt, daß solches durch ein anderes
von gleichem Wesen seine Grenzen
erhalten müsse; als wie ein Denken oder
ein endliches denkendes Ding, durch ein
anderes Denken oder ein anderes endliches
denkendes Ding.
~ Es ist zwar Spinoza, eben wie Descartes
(Anm. zu § 321 Grundl.), dessen Grundsätze
er angenommen hatte (Anm. zu § 667 [677]),
der Begriff von dem zureichenden Grunde im
Gemüthe geschwebet, und er hat kraft desselben
den Satz des zureichenden Grundes undeutlich
erkannt: die deutliche Erkenntniß
aber desselben mangelte ihm. Daher fehlete
er bey Anwendung desselben, und erfoderte
auch von den ursprünglichen Einschränkungen,
welche dem Wesen der endlichen Dinge
ankleben, einen zureichenden Grund. Da
es nun keinen innern Grund davon giebt (§



|46| 156 Grundl.): so schloß er, es müßte ein
äußerer Grund vorhanden seyn, und vermengte
denselben mit Unrecht mit der Ursache,
als der Quelle der Bestimmungen (§ 321
Grundl.); da doch eben derselbe Satz dieser
zuwider ist und dergleichen Ursache nicht leidet
(§ 883 Grundl.), wie diejenigen zur
Genüge sehen, welche auf die ursprünglichen
Schranken der Seele Acht haben. Denn
die Empfindungen der Seele, indem die
Schranken einen Mangel einer weitern Wirklichkeit
bedeuten (§ 468 Grundl.), sind eingeschränkt
oder endlich, so ferne sie verwirrt
und dunkel, und folglich nicht genugsam deutlich
sind (§ 32, 39 erfahr. Seelenl.), und
also in der empfundenen Sache nicht alles,
was sich einzel ausprechen lässet, als von
einander unterschieden vorstellen (§ 24, 38
erfahr. Seelenl. und § 98 vern. Seelenl.).
Warum aber dieselben verwirrt und dunkel
sind: davon ist der Grund in den ursprünglichen
Schranken, welche dem Wesen der
Seele ankleben, zu suchen (§ 144 Grundl.);
und diesen müssen wir kraft des Satzes des
Widerspruchs zulassen (§ 142 Grundl.),
so ferne nämlich es sich nicht widerspricht,
daß dergleichen Schranken in der vorstellenden
Kraft, welche wir durch die Erfahrung
in der Seele wahrnehmen, befindlich sind.
Wenn daher Spinoza genugsam deutliche
Begriffe von der Grundlehre gehabt, und



|47| sowol von dem Satze des Widerspruchs, als
dem Satze des zureichenden Grundes, den rechten
Gebrauch gemacht hätte, wie wir in unserer
Grundlehre gethan haben: so würde er
nimmermehr in solche Verwirrungen gerathen
seyn, als man in seinen Erklärungen antrifft;
und er würde auch die ersten Begriffe
nicht aus seiner in dem Gemüthe vorhergefaßten
Meinung (Anm. zu § 677), sondern
aus den Sachen selbst hergeleitet haben: und
in diesem Falle hätte er selbst befunden, daß
jene mit diesen keinesweges übereinstimmete.

§ 687.

~ Die Spinozisterey beruhet auf
vergebens angenommenen, verwirrten
und zweydeutigen Gründen.
Denn Spinoza suchet seine Meinung von
einem einzigen unendlichen bestehenden
Dinge, aus dessen nothwendigen Abwechselungen
der Weisen in seinen Eigenschaften
die übrigen Dinge insgesamt
hervorkommen, das ist die Spinozisterey
(§ 671), aus seinen Erklärungen und
Grundsätzen zu erweisen. Weil er sich
aber auf Descartes Grundsatz verlässet,
daß dasjenige wahr sey, was man klar
und deutlich empfindet, oder, nach seiner
Redensart, sich gedenket: so beweiset er
Gründe der Spinozisterey.




|48| dasjenige nicht, was er in seinen Erklärungen
annimmt. Solche Beweisgründe,
worunter auch die Erklärungen
gehören (§ 562 Vern.), welche eines
Beweises bedürfen, aber ohne Beweis
angenommen werden, sind vergebens
angenommene Gründe (§ 843 Vern.).
Daher gebrauchet Spinoza bey Erweisung
seiner Meinung vergebens angenommene
Gründe: und folglich beruhet
die Spinozisterey auf vergebens angenommenen
Gründen. Welches das
erste war.
~ Weiter vermenget derselbe in seinen
Erklärungen die Eigenschaft mit den wesentlichen
Bestimmungen (§ 679), die
Weisen mit den eigentlich so genannten
Eigenschaften (§ 681) und dem von
einem andern seyenden Dinge (§ 682),
imgleichen das bestehende Ding mit dem
von sich selbst seyenden Dinge (§ 684).
Weil er also in seinen Erklärungen verschiedenes
für einerley hält: so unterscheidet
er dasjenige, was sich in den
Dingen einzel aussprechen lässet, nicht
genugsam von einander. Da nun dieses
eine verwirrte Vorstellung ist, wenn



|49| wir vieles, was in einer klar empfundenen
Sache sich besonders aussprechen
lässet, nicht von einander unterscheiden
(§ 39 erfahr. Seelenl.); und dieses ein
verwirrter Begriff ist, wenn wir die
Merkmale desselben nicht von einander
unterscheiden können (§ 88 Vern.): so
sind die Begriffe, welche die Erklärungen
Spinozas vorstellen (§ 152 Vern.),
verwirrte Begriffe. Es erhellet aber
aus dem ersten Theile des gegenwärtigen
Beweises, daß diese Erklärungen
Gründe sind, worauf die Spinozisterey
beruhet. Daher beruhet die Spinozisterey
auf verwirrten Gründen. Welches
das andere war.
~ Endlich erkläret Spinoza nicht allein
das Endliche, oder das, was Grenzen
hat, zweydeutig (§ 685), welche Erklärung
doch bey der Spinozisterey von
großer Wichtigkeit ist (Anm. zu § 685):
sondern es ist auch aus dem, was wir
von den übrigen Erklärungen erwiesen
und angemerket haben, deutlich zu erkennen,
daß seine Worte beynahe insgesamt
sehr zweydeutig sind, dergestalt
daß, wenn man auf dieselben allein Acht



|50| hat, man kaum durch Muthmaßungen
errathen kann, was sie bedeuten sollen.
Da nun aus dem, was zuerst erwiesen
worden, erhellet, daß die Spinozisterey
aus diesen Erklärungen, als auf ihren
Gründen, beruhet: so ist allerdings klar,
daß die Spinozisterey auf zweydeutigen
Gründen beruhet. Welches das dritte
war.
~ Wir sehen also, wie schlüpfrig der Grund
von der ganzen Spinozisterey ist, so daß sie
nicht den geringsten Beyfall verdienet, wenn
man auch weiter nichts, als die Erklärungen
Spinozas in Erwägung ziehet. Daß aber
Spinoza selbst sich habe überreden können, dieser
Grund sey dergestalt fest und unbeweglich,
daß er sein darauf aufgeführtes Lehrgebäude
für erwiesen gehalten und geglaubet, es könne
solches in Ansehung der Gewißheit den geometrischen
Wahrheiten selbst den Vorzug streitig
machen: darüber darf sich niemand wundern.
Denn er hatte den Grundsatz Descartes
für unstreitig angenommen, daß alles
dasjenige wahr sey, was man klar und deutlich
empfindet, oder wie er es lieber ausdrückte,
was man auf diese Art begreifet oder sich
gedenket, und war daher um den Beweis dessen,
was er in den Erklärungen annahm,
wenig bekümmert. Auf diese Weise geschahe



|51| es dann, daß er sein Lehrgebäude auf vergebens
angenommene Sätze bauete. Die klare
und deutliche Empfindung, oder den Begriff,
wie er es nennet, um den Verstand von
den Sinnen und der Einbildungskraft zu unterscheiden,
hat weder Descartes noch er selbst
erkläret: sondern beyde haben es bey dem undeutlichen
Begriffe bewenden lassen, welcher
durch Beyspiele in dem Gemüthe erzeuget
wird. Daher kam es, daß er sich einbildete,
als wenn er dasjenige klar und deutlich empfände
oder gedächte, wovon er doch keinen
deutlichen und bestimmten Begriff bey sich
abgefasset hatte, und daß er es auf der bloßen
Klarheit ziemlich dunkeler und zweydeutiger
Wörter beruhen ließ, welche er von seiner
schon vorher in dem Gemüthe festgesetzten
Meinung, ehe er noch an den Beweis derselben
gedachte, erbettelt hatte. Wir lernen
daher aus dem Beyspiele Spinozas, wie betrieglich
das Kennzeichen der Wahrheit Descartes
sey, man mag gleichwol die klare und
deutliche Empfindung durch den Begriff erklären,
und solche auf eine Handlung des Verstandes
einschränken; denn damit werden die
betrieglichen Begriffe keinesweges weggeschaffet,
sondern vielmehr gar leicht zugelassen:
daß also von Tschirnhausen in seiner Seelenarzney
vergebliche Mühe angewendet hat,
dasselbe noch mehr auszuschmücken und so
hoch anzupreisen. Daß aber Spinoza in seinen



|52| Erklärungen alles unter einander menget,
was doch am meisten von einander hätte unterschieden
werden sollen: das ist dem Mangel
der Erkenntniß in den ersten Gründen der
Weltweisheit zuzuschreiben. Denn aus dieser
Ursache machte er solche Erklärungen, wie
es seine schon vorher in das Gemüth gefaßte
Meinung erheischete; ehe er noch an die
Gründe gedachte, worauf er dieselben bauen
wollte: da er sie sonst lieber aus den Sachen
würde genommen haben, von welchen die Begriffe
in der Grundlehre durch Absonderung
müssen hergeleitet werden, wenn man wirkliche
Begriffe verlanget und sich vor den betrieglichen
hüten will. Wir erkennen also
hieraus, wie sehr nothwendig eine gehörig
ausgearbeitete Grundlehre sey; das ist, eine
solche, welche auf wahre und dabey deutliche
und bestimmte Begriffe gesetzet ist: wenn man
nicht in den schweresten Dingen im Finstern
tappen, und wer weis in welche Irrthümer
verfallen will. Und dieses ist auch die einzige
Ursache, warum wir unsern Vortrag der
Weltweisheit von den ersten Gründen derselben
angefangen haben, und durch sie in den
übrigen Theilen der Weltweisheit ein Licht
anzünden.



|53|
§ 688.

~ Spinoza hatte von der Ausdehnung
keinen andern, als einen verwirrten
Begriff. Denn Spinoza ließ
es mit Descartes bey dem Begriffe der
Ausdehnung bewenden, wie wir ihn
durch die Sinne empfinden, und gab
auch daher keine Erklärung davon: eben
wie wir es gemeiniglich bey dem Begriffe
der Farbe bewenden lassen, wie wir ihn
durch die Sinne empfinden, und keine
Erklärung davon geben. Wir empfinden
aber die Ausdehnung in dem Körper
nicht anders, als verwirrt (§ 224 Weltl.).
Daher hatte Spinoza von der Ausdehnung
keinen andern, als einen verwirrten
Begriff.
~ Daß weder Descartes, noch nach ihm
Spinoza, dieses eingesehen habe: davon
war die Ursache, daß jener nicht durch einen
deutlichen Begriff erklärete, was das sey, etwas
klar und deutlich empfinden; noch auch
dieser, was es sey, eine Sache sich auf diese
Art gedenken. Daher meinte Descartes, er
empfände die Ausdehnung klar und deutlich,
so ferne er sich bewußt war, daß er dieselbe
in den Körpern empfinde, und so ferne er
glaubte, sie sey nicht einerley mit dem Denken,
Was Spinoza für einen Begriff von der Ausdehnung gehabt habe.




|54| sondern dieses sey von jener etwas Unterschiedenes,
weil das Denken und die Ausdehnung
nicht als einerley erkannt werden:
und aus eben der Ursache bildete sich Spinoza
ein, er begriffe die Ausdehnung. Nämlich
in der Sache selbst kommt er mit Descartes
überein, nur daß er die Worte desselben verändert
hat.

689.

~ Spinoza hält die Ausdehnung mit
Unrecht für etwas Wirkliches. Denn
Spinoza hält die Ausdehnung für eine
Eigenschaft Gottes, wodurch das unendliche
und ewige bestehende Wesen desselben
abgebildet wird (§ 671): und
also hält er sie für etwas Wirkliches
(daselbst). Nun ist aber die Ausdehnung
eine Erscheinung (§ 225 Weltl.),
und nichts Wirkliches (Anm. zu § 5).
Daher hält Spinoza dieselbe mit Unrecht
für etwas Wirkliches.
~ Wer da erkennet, daß die Ausdehnung
nichts Wirkliches ist, was sich in einem Dinge
befindet, sondern ein anderes Wirkliches voraussetzet,
wodurch, wenn es undeutlich empfunden
wird, solches in dem Dinge erscheinet;
gleichwie die Farbe nichts Wirkliches
Irrthum Spinozas in dem Begriffe der Ausdehnung.




|55| in dem Körper sich befindendes ist, sondern
etwas anderes in demselben voraussetzet, durch
dessen verwirrte Empfindung der Begriff der
Farbe erzeuget wird; und wer da genugsam
einsiehet, wie der Begriff von der Ausdehnung
in der Seele entstehet (§ 103 vern. Seelenl.):
der wird aus diesem einzigen die Ungereimtheit
der Spinozisterey erkennen. Daß die
Ausdehnung etwas Wirkliches sey, welches
das Wesen des körperlichen bestehenden Dinges
ausdrücke: das nimmt Spinoza mit Descartes
bloß an, er beweiset es aber nicht, weil
er sich auf den sehr trieglichen Grundsatz von
der klaren und deutlichen Empfindung verläßt.
Wir aber haben den Satz, daß dieselbe
nichts Wirkliches, sondern eine Erscheinung
sey, welche in dem Wirklichen ihren genugsamen
Grund hat, aus wahren Begriffen
hergeleitet (§ 225 Weltl.). Wenn Descartes
und Spinoza eben so große Aufmerksamkeit
auf die Ausdehnung gewendet hätten,
als sie bey Untersuchung des Begriffs von
der Farbe angewendet haben: so würden sie
den Irrthum, welchen wir in dem gegenwärtigen
Satze an ihnen bemerket, leicht vermieden
haben.

§ 690.

~ Die Ausdehnung lässet sich in dem
Verstande Spinozas nicht für sich
Der Begriff der Ausdehnung lässet sich in andere auflösen.




|56| gedenken. Denn die Ausdehnung ist
das Zugleichseyn des Mannichfaltigen,
was außerhalb einander ist, in einem,
und entstehet aus der Vereinigung des
Mannichfaltigen, welches sich außerhalb
einander befindet (§ 548 Grundl.);
wenn man den Begriff desselben, der eingeführten
Bedeutung (§ 567 Grundl.)
und dem gemeinen Gebrauche im Reden
gemäß, deutlich erklären will (§ 568
Grundl.): das ist, aus der Ausdehnung
der Körper, welche eine Versammlung
von einfachen bestehenden Dingen sind
(§ 176 Weltl.), die aus etwas entstehet,
was nicht ausgedehnet ist (§ 223 Weltl.),
nämlich aus Versammlung der Einheiten
selbst (§ 221 Weltl.). Wir empfinden
auch die Ausdehnung nicht anders, als
so ferne wir uns vieles, was außerhalb
einander ist, in einem vorstellen (§ 548
Weltl.), und also empfinden (§ 24 erfahr.
Seelenl.): nämlich der Begriff der
Ausdehnung entstehet in der Seele, so
ferne dieselbe den innern Zustand der
Einheiten in eines verwirret (§ 103
vern. Seelenl.). Wenn man also die
Ausdehnung, ohne welche die Körper
nicht empfunden, oder nach Spinozas



|57| Redensart, nicht gedacht werden können
(§ 122 Weltl.), deutlich empfinden
oder erkennen wollte: so müßte man
die Einheiten, deren Versammlung die
Körper ausmachet, und ihren innern
Zustand kennen, auch wissen, wie durch
dieselbe vieles in einem vorgestellet wird;
oder, wenn man es lieber allgemein ausdrücken
will, man muß erkennen, welches
das Mannichfaltige ist, was sich
außerhalb einander befindet, und wie solches
in einem zugleich ist. Die Erkenntniß
der Ausdehnung setzet also die Erkenntniß
des Mannichfaltigen außerhalb
einander sich befindenden, und die Vereinigung
desselben voraus: und insonderheit
setzet die Erkenntniß von der
Ausdehnung der Körper voraus, die
Erkenntniß der einfachen bestehenden
Dinge und ihres innern Zustandes, imgleichen
der Art und Weise, wie ihrer
viele zusammen kommen, daß aus diesen
vielen eines wird. Da nun nach Spinoza
dasjenige für sich gedacht wird, dessen
Erkenntniß die Erkenntniß keines andern
Dinges voraus setzet (Sittenl. 28):
so ist offenbar, daß die Ausdehnung in
dem Verstande Spinozas sich keinesweges
für sich gedenken lässet.



|58| ~ Es geschiehet nicht ohne Ursache, daß wir
in dem Beweise des gegenwärtigen Satzes
dasjenige, was in der Grundlehre von dem
Begriffe der Ausdehnung überhaupt gesaget
worden, mit dem verbinden, was wir von
der Ausdehnung der Körper insbesondere in
der Weltlehre, und von der Vorstellung dieser
Ausdehnung in der vernünftigen Seelenlehre
erwiesen haben. Denn aus demjenigen,
was hier aus der Weltlehre angenommen
wird, erhellet deutlicher, was es für Dinge
sind, deren Erkenntniß die deutliche Erkenntniß
der Ausdehnung eines körperlichen
bestehenden Dinges voraus setzet: und aus
dem, was wir aus der vernünftigen Seelenlehre
anführen, kann man deutlicher verstehen,
wie der verwirrte Begriff der Ausdehnung
in der Seele, welche aus den Schranken
der vorstellenden Kraft entstehet, von dem
deutlichen Begriffe unterschieden ist, welcher
für den Verstand gehöret (§ 275 erfahr. Seelenl.).
Wollte aber ein Spinozist sich weigern,
unsere Sätze aus der Weltlehre und
Seelenlehre anzunehmen, wovon man ihn
doch ohne Weitläuftigkeit nicht überführen
kann: so sind die aus der Grundlehre schon
dazu hinlänglich; und diese kann derselbe
nicht in Zweifel ziehen, wenn er es nur nicht
an der gehörigen Aufmerksamkeit fehlen lässet,
noch mit feindseligem Gemüthe gegen die
Wahrheit, seine vorgefaßte Meinung auf das



|59| äußerste vertheidigen will. Wenn Spinoza
erkannt hätte, daß die Ausdehnung, wie wir
sie durch die Sinne empfinden, nicht anders
als undeutlich empfunden werde, eben wie
die Farben: so würde er den Begriff davon
nimmermehr für deutlich gehalten und denselben
dem Verstande, so ferne dieser den
Sinnen und der Einbildungskraft entgegen
gesetzet wird, gezogen haben. Er betrog sich,
indem er sich einbildete, eine Sache könne
keinesweges deutlich erkläret werden, wovon
er nicht sahe, wie man sie erklären müßte:
er konnte es aber nicht sehen, und dieses
wegen Versäumniß der ersten Gründe der
Weltweisheit. Denn, wenn derselbe den
Begriff des Dinges überhaupt, und die Begriffe
des zusammengesetzten und einfachen
insbesondere, untersuchet hätte, wie wir in der
Grundlehre gethan haben: so würde er auch
den Begriff von der Ausdehnung, wie dieser
von den Sinnen herrühret, nicht für deutlich
und einen solchen gehalten haben, welcher sich
nicht in andere einfachere auflösen ließe. Ja,
wenn er nur auf dasjenige, was wir von dem
körperlichen bestehenden Dinge selbst durch
die Sinne empfinden, Acht gehabt und mit
mehrerer Scharfsinnigkeit, was darinnen unterschieden
ist, von einander abgesondert hätte:
so hätte es nimmermehr fehlen können, er
hätte wahrnehmen müssen, daß die Ausdehnung
die Erkenntniß eines wirkenden und gegenwirkenden



|60| bestehenden Dinges voraus setze,
und also ohne diese Erkenntniß nicht erkannt
werden könne; folglich für sich selbst sich
nicht gedenken lasse.

§ 691.

~ Die Ausdehnung kann keine Eigenschaft
Gottes in Spinozas Verstande
seyn. Denn die Ausdehnung
lässet sich in Spinozas Verstande nicht
für sich selbst gedenken (§. 690). Da
nun nach demselben eine iede von den Eigenschaften
des einzelen bestehenden Dinges
für sich muß gedacht werden (Sittenl.
30), wie er daselbst aus den Erklärungen
des bestehenden Dinges und der
Eigenschaft (§ 673, 674) schließet: so
kann die Ausdehnung keine Eigenschaft
Gottes seyn, als welchen er für das bestehende
Ding hält (§ 672).
~ Wir haben zwar bereits anderswo gezeiget,
daß Gott nicht ausgedehnt seyn könne (§
85, 1 Th. nat. Gottesg. und § 38, 2 Th. nat.
Gottesg.): hier aber, wo wir uns vorgenommen
haben, die Spinozisterey umzustürzen,
haben wir solches aus den Grundsätzen Spinozas
selbst erweisen müssen. Im übrigen
mögen diejenigen zusehen, ob sie nicht Spinoza
Warum die Ausdehnung keine Eigenschaft Gottes in Spinozas Verstande seyn könne.




|61| mehr einräumen, als recht ist, welche
die Ausdehnung zu einer Eigenschaft Gottes
machen, und sich einbilden, man könne denselben
nicht ohne Ausdehnung gedenken: und
sie mögen überlegen, ob nicht dieser Irrthum
leicht in eine heimliche Spinozisterey ausschlagen
könne, wie aus dem folgenden deutlicher
erhellen wird.

§ 692.

~ Da derjenige irret, welcher bejahet,
was verneinet werden sollte (§ 624 Vernunftl.);
und aber in Spinozas Verstande
verneinet werden muß, daß die
Ausdehnung eine göttliche Eigenschaft
sey (§ 691): so irret Spinoza, wenn
er behauptet, die Ausdehnung sey
eine Eigenschaft Gottes, oder Gott
sey ein ausgedehntes Ding (Sittenl.
102).
~ Es ist nicht nöthig, daß wir den vorgegebenen
Beweis, auf welchen Spinoza sich an
dem angezogenen Orte berufet, umstoßen.
Denn er beruhet auf solchen Gründen, welche
wir als vergebens angenommen, verwirrt
und zweydeutig verwerfen (§ 687). Es ist
schon überflüssig genug, daß wir dargethan
haben, daß auch nicht einmal in Spinozas
Verstande, das ist, nach seinen Erklärungen,
Irrthum Spinozas, indem er Gott eine Ausdehnung zuschreibet.




|62| die Ausdehnung eine Eigenschaft Gottes seyn
könne. Es gilt auch nicht, wenn man uns
einwenden wollte, unser Beweis löse sich in
unsern Begriff von der Ausdehnung auf (§
992 Vern.), aus welchem wir nämlich geschlossen
haben, die Ausdehnung lasse sich in
dem Verstande Spinozas nicht für sich gedenken
(§ 690): und also löse er sich in unsere
Gründe auf, nach welchen also nur allein
derselbe eines Irrthums beschuldiget werden
könne. Denn einen Irrthum kann man nicht
anders, als aus wahren Gründen, widerlegen;
er müßte dann den Gründen des Irrenden
gerade zu widersprechen: in welchem Falle,
wenn man nicht von der Wahrheit der Gründe
überführet ist, derselbe nur bloß aus zugegebenen
Gründen widerleget wird, und es ist
dadurch nicht erhärtet, daß dasjenige, was
man verwirft, falsch sey; sondern nur, daß
es selbst mit den Gründen des Irrenden nicht
bestehen könne. Es wird uns daher niemand
tadeln, daß wir aus einem angenommenen
wahren Grunde, welchen der Irrende nicht
erkennet, einen Irrthum widerlegen.

§ 693.

~ Spinoza hat nicht erwiesen, daß
eine unendliche Ausdehnung möglich
sey. Denn daher, daß derselbe von
der Ausdehnung, wie sie durch die Einbildungskraft
Die Unendlichkeit der Ausdehnung ist von Spinoza nicht erwiesen.




|63| undeutlich empfunden
wird, willkührlich die Schranken wegnimmt,
folget noch nicht, daß ein Ausgedehntes
ohne Schranken möglich sey:
sondern die Möglichkeit dieses Begriffes,
welchen man durch willkührliche Bestimmung
herausgebracht hat, muß erwiesen
werden; indem dergleichen Begriffe
eben sowol unmöglich, als möglich seyn
können (§ 720 u. f. Vern.). Dieses
aber thut Spinoza nirgends, weil er sich
auf den zweydeutigen Grundsatz verlässet,
daß dasjenige wahr sey, was klar
und deutlich empfunden, oder nach seiner
Art zu reden, begriffen wird, und,
weil er die Ausdehnung für etwas Wirkliches
hält (§ 689), und annimmt, daß
sie ohne Grenzen seyn könne. Es
erhellet also hieraus, daß er die Möglichkeit
einer unendlichen Ausdehnung
nicht erwiesen habe.
~ Ob auch gleich derselbe die Ausdehnung
zu einer Eigenschaft Gottes machet
(§ 671); die göttlichen Eigenschaften
aber unendlich sind (§ 672): so lässet
sich doch auch daraus noch nicht verstehen,
daß es eine unendliche Ausdehnung



|64| gebe und solche also möglich sey
(§ 170 Grundl.). Denn die Ausdehnung
kann nicht einmal in Spinozas
Verstande eine Eigenschaft Gottes seyn
(§ 691): folglich wird dadurch, daß
man sie für eine Eigenschaft hält,
keinesweges erwiesen, daß eine unendliche
Ausdehnung möglich sey. Daher
halten auch nicht einmal Spinozas
Grundsätze dasjenige in sich, woraus
folgen sollte, daß eine unendliche Ausdehnung
möglich sey.
~ Da nun Spinoza selbst keinen Beweis
von der unendlichen Ausdehnung
gegeben hat, solche auch aus seinen
Grundsätzen nicht bewiesen werden kann;
wenn man nicht aus denselben etwas
schließen will, was doch keinesweges daraus
folget: so ist allerdings offenbar,
daß die Möglichkeit einer unendlichen
Ausdehnung auf keine Weise von demselben
bewiesen worden.
~ Die Möglichkeit einer unendlichen Ausdehnung,
wenn anders dieselbe der Wahrheit
nicht widerspricht, lässet sich nicht so leicht erweisen.
Denn da das Ausgedehnte aus etwas
entstehet, welches nicht ausgedehnt ist



|65| (§ 223 Weltl.), wenn nämlich die Einheiten
der materialischen Dinge, das ist, einfache
bestehende Dinge (§ 182 Weltl.), sich versammeln
(§ 221 Weltl.): so müßte derjenige,
welcher die Möglichkeit einer unendlichen
oder uneingeschränkten Ausdehnung erweisen
wollte, darthun, daß einfache bestehende Dinge
möglich wären, durch deren Versammlung
in den Erscheinungen eine unendliche Ausdehnung
entstünde. Wer siehet aber nicht
(es müßte dann iemand in der Lehre von den
Einheiten ganz unwissend und unerfahren
seyn), daß dieses ein Beweis ist, welchen
nicht leicht iemand auf sich nehmen wird.
Es ist also nicht so gar leicht, den Beweis zu
führen, ob eine unendliche Ausdehnung möglich
oder unmöglich sey. Man vermenget
hierbey das Eingebildete mit dem Wirklichen:
obgleich Spinoza Descartes Benennung der
klaren und deutlichen Empfindung verabscheuet,
und das Wort Begriff dafür gesetzet
hat; damit wir dasjenige, was wir uns einbilden,
nicht mit dem vermengen sollen, was
wir verstehen, oder was von dem Verstande
als wahr gefasset wird. Spinoza würde die
unendliche Ausdehnung nimmermehr als
möglich angenommen und behauptet haben,
daß durch dieselbe das göttliche Wesen ausgedrücket
werde: wenn er nicht die verwirrte
Empfindung, welche für die Einbildungskraft
gehöret, mit dem deutlichen Begriffe,



|66| welchen sich der Verstand machet, vermenget
hätte. Es ist nicht genug, daß wir die Ausdehnung
der Körper durch die Sinne undeutlich
empfinden, und indem wir sie uns als abgesondert
einbilden, keine Widerstrebung in
uns verspüren, wenn wir eine Ausdehnung,
so groß diese auch seyn möchte, uns immer
größer dichten oder willkührlich setzen: um
daraus die Folge zu machen, daß eine unendliche
Ausdehnung möglich, und folglich ein
unenedliches ausgedehntes Ding möglich sey.
Wenn diese Art zu beweisen gelten soll: so
wird nichts mehr seyn, was sich nicht solchergestalt
beweisen ließe. Denn, warum sollte
man nicht auf eben die Art beweisen können,
daß eine unendliche Farbe, oder eine unendliche
Süßigkeit möglich sey?

§ 694.

~ Die Körper können nicht aus Abwechselung
der Weisen in einer göttlichen
Eigenschaft, nämlich der unendlichen
Ausdehnung, entstehen,
und man kann sie auch in Spinozas
Verstande keine Weise nennen, welche
das Wesen Gottes, so ferne derselbe
als ein ausgedehntes Ding betrachtet
wird, auf gewisse und bestimmte
Art ausdrücket. Denn die
Irrthum Spinozas von dem Ursprunge der Körper.




|67| Ausdehnung ist nicht einmal in Spinozas
Verstande eine Eigenschaft Gottes
(§ 691). Wenn also gleich die Körper
durch Abwechselung der Weisen in der
unendlichen Ausdehnung entstünden: so
könnte man doch nicht sagen, daß sie
durch Abwechselung der Weisen in einer
göttlichen Eigenschaft entstünden. Denn
die Ausdehnung ist weiter nichts, als
eine Erscheinung (§ 226 Weltl.), und
kann für nichts Wirkliches gehalten werden
(§ 689): und alle Körper entstehen
aus etwas, welches nicht ausgedehnet
ist (§ 223 Weltl.). Wenn also gleich
die Ausdehnung eine Eigenschaft Gottes
wäre, wie Spinoza haben will (Sittenl.
102): so könnte man doch nicht sagen,
daß die Körper aus Abwechselung
der Weisen einer göttlichen Eigenschaft
entstünden. Daher ist klar, daß die
Körper keinesweges aus Abwechselung
der Weisen einer göttlichen Eigenschaft,
nämlich der unendlichen Ausdehnung,
entstehen. Welches das erste war.
~ Da es unmöglich ist, daß Gott ausgedehnt
wäre (§ 85, 1 Th. nat. Gottesg.
und § 38, 2 Th. nat Gottesgel.), ja die



|68| Ausdehnung nicht einmal in Spinozas
Verstande eine Eigenschaft Gottes seyn
kann (§ 691): so kann Gott nicht einmal
nach Spinozas Grundsätzen als ein
ausgedehntes Ding betrachtet werden,
und die Ausdehnung drücket auch nicht
das unendliche Wesen Gottes aus. Daher
kann man auch nicht in Spinozas
Verstande die Körper eine Weise nennen,
welche das Wesen Gottes, so ferne
derselbe als ein ausgedehntes Ding betrachtet
wird, auf gewisse und bestimmte
Weise ausdrücket. Welches das andere
war.
~ Die gleichförmige Ausdehnung ohne alle
Schranken, das ist, ohne Figuren betrachtet
(§ 621 Grundl.), ist ein eingebildeter Begriff,
dergleichen der gemeine Mann dem
Raume zuschreibet, weil er es bey dem eingebildeten
Begriffe desselben bewenden lässet
(§ 599 Grundl.), und um welches willen
Heinrich Morus, und Joseph Raphson, welcher
ihm folget, den Raum für eine Eigenschaft
Gottes gehalten haben, welche das unendliche
und wahrhaftig unbegrenzte Wesen
desselben ausdrückte, eben so, wie Spinozas
Sätze es haben wollen (Anmerk. zu § 599
Grundl). Der Ursprung der Körper durch
die Abwechselung der Weisen in der Ausdehnung,



|69| muß also unter die Mißgeburten der
Einbildungskraft gezählet werden, so ferne
nämlich, als nach demselben die Macht Gottes
der gleichförmigen Ausdehnung mancherley
Schranken oder verschiedene Figuren giebet.
Ich sehe auch nicht, warum derjenige,
welcher die Ausdehnung für etwas Wirkliches
hält, nicht am Ende Spinozas Meinung annehmen
sollte. Denn da eine iede Wirklichkeit
in dem allerhöchsten Grade möglich ist
(§ 12): so wird derselbe auch die unendliche
Ausdehnung für möglich erkennen. Und da
in Gott, als dem vollkommensten Wesen (§
14), alle Wirklichkeit in dem allerhöchsten
Grade anzutreffen ist (§ 15): so wird er demselben
auch leicht die unendliche Ausdehnung
als eine Eigenschaft beylegen, und dieses
selbst nach der wahren Erklärung der Eigenschaft
(§ 146 Grundl), weil er nämlich die
höchste Vollkommenheit als das Wesen desselben
betrachtet (§ 168 Weltl.). Wenn
nun die Körper durch Abwechselung der Weisen
in der Ausdehnung entstehen: so kann
derselbe nicht sehen, warum er außer der Ausdehnung,
welche in Gott ist, noch eine andere
Ausdehnung annehmen sollte, welche
derselben entgegen gesetzt wäre; eben wie es
Spinoza ergangen ist. Daher machet er
keine Schwierigkeit, demselben beyzupflichten,
daß die Körper entstünden aus einer göttlichen
Eigenschaft, nämlich der unendlichen



|70| Ausdehnung, welche durch die göttliche Macht
ihre Abwechselungen erhält: und auf diese
Weise sind, wie Spinoza glaubete, die Körper
weiter nichts, als eine gewisse Weise, welche
das Wesen Gottes, so ferne derselbe als
ein ausgedehntes Ding betrachtet wird, auf
gewisse und bestimmte Art ausdrücket; eben
wie nach Morus und Raphson, wie wir nur
erst gesehen haben, die Eigenschaft, nämlich
die unendliche Ausdehnung, mit Beystimmung
Spinozas, das unendliche und wahrhaftig
unbegrenzte Wesen desselben ausdrücket.
Es ist also hieraus klar, wie sehr nöthig
es ist, den verwirrten Begriff der Ausdehnung
zu einem deutlichen zu bringen, wie
wir in der Grundlehre gethan haben (§ 548
Grundl.), und mittelst desselben die Ausdehnung
der Körper aus der Zahl der Wirklichkeiten
herauszunehmen, wie von uns geschehen
ist (§ 226 Weltl.). Dabey haben wir
auch die wahre Quelle derselben entdecket (§
221 Weltl. und § 103 vern. Seelenl.).

§ 695.

~ Die Macht Gottes, durch welche
nach Spinoza die Körper hervorgebracht
werden, ist keine andere, als
eine Macht, welche Weisen giebet.
Denn nach Spinoza entstehen die Körper
durch Abwechselung der Weisen in
Was es für eine Macht sey, welche nach Spinoza die Körper hervorbringet.




|71| einer göttlichen Eigenschaft, nämlich der
unendlichen Ausdehnung (§ 671). Da
nun solchergestalt die Eigenschaft Gottes
durch die Macht Gottes Weisen erhält,
so ferne nämlich, als dadurch das Uneingeschränkte
Schranken bekommt, damit
dasjenige auf gewisse und bestimmte
Art ausgedrücket werde, was durch die
Eigenschaft als unendlich und unbegrenzet
ausgedrücket ist (Sittenl. 85): so
ist die Macht Gottes, durch welche die
Körper hervorgebracht werden, keine
andere, als eine Macht, welche Weisen
giebet.
~ Nämlich, Spinoza leget Gott, als dem
bestehenden Dinge, eine Macht bey, wodurch
alles ist und geschiehet; weil wir sonst von
dem, was in der Welt ist, keinen zureichenden
Grund hätten, noch auch verstehen könnten,
woher dieses alles wäre. Weil er aber
die erschaffende Kraft als vergens erdichtet
verwarf: so ließ er Gott nicht mehr übrig,
als eine Kraft, welche Weisen giebet; und
diese hielt er für hinlänglich, alles dasjenige
zu erklären, was da in der materialischen oder
gesammten körperlichen Welt ist und geschiehet.
In der That machte er auch aus eben dieser
Ursache die Ausdehnung zu einer Eigenschaft
Gottes, damit er den Ursprung der Körper



|72| ohne eine erschaffende Kraft, bloß durch eine
Kraft, welche Weisen giebet, erklären könnte.

§. 696.

~ Spinoza machet die Macht der
Natur zu der Macht Gottes, und
nimmt die ganze eigentlich so genannte
Natur von den Körpern, aus
welchen die Welt bestehet, weg, oder,
er machet die eigentlich so genannte
Natur zu einem Undinge. Denn die
Macht der Natur ist eine solche Macht,
welche die Weisen hervorbringet (§ 853,
1 Th. nat. Gottesg.). Nun machet aber
Spinoza die Macht Gottes nur bloß zu
einer solchen, welche Weisen giebet (§
695). Daher machet er die Macht der
Natur zu der Macht Gottes. Welches
das erste war.
~ Die gesammte Natur ist die Versammlung
aller bewegenden Kräfte, welche
die in der Welt zugleich seyenden Körper
zusammen genommen, in sich fassen (§
507 Weltl.), und in derselben ist der
Grund anzutreffen, warum vielmehr diese
als andere Veränderungen sich in der
Welt eräugnen (§ 505 Weltl.). Nun
Irrthum Spinozas von der Natur.




|73| erkennet aber Spinoza keine andere, als
nur eine solche Macht Gottes, wodurch
die Ausdehnung, als die Eigenschaft
desselben, solche Weisen erhält, daß auf
diese Art die Körper und ihre Veränderungen
in der materialischen Welt hervorkommen
(§ 671): und diese Macht
machet er zu derjenigen, welche der Ausdehnung
die Weisen giebet (§ 695).
Solchergestalt nimmt er also die ganze
eigentlich so genannte Natur von den
Körpern, aus welchen die Welt bestehet
(§ 119 Weltl.), weg: und weil er
leugnet, daß die eigentlich so genannte
Natur da seyn könne; so machet er dieselbe
zu einem Undinge (§ 137 Grundl.).
Welches das andere war.
~ Spinoza hat in diesem Stücke Descartes
zum Vorgänger. Denn, weil dieser die
Ausdehnung für das Wesen des Körpers oder
für eine Eigenschaft hielte, welche dasselbe
ausdrückte; dabey aber merkte, daß aus dem
undeutlichen Begriffe, welchen er von der
Ausdehnung hatte, die inwohnende Kraft der
Körper, als die Quelle der Veränderungen
(§ 136 Weltl.), nicht folgte, als welche
man sich wie ein bestehendes und von der Materie,
oder demjenigen,was ausgedehnt ist



|74| (§ 141 Weltl.), unterschiedenes Ding gedenken
muß (§ 301 Weltl.): so nahm er alle
thätige Kraft von den Körpern weg, und
legte solche Gott allein bey. Wenn aber die
Körper ohne alle Thätigkeit gedacht werden:
so muß man, weil die thätige Kraft ihre Natur
ist (§ 145 Weltl.), die Natur ein Unding
nennen (§ 137 Weltl.). Daher nennet
auch Robert Boyle die Natur einen Götzen,
welchen man nicht ohne Verunehrung
des höchsten Wesens dichtete: und Sturm
ziehet dieses Wort als einen leeren Schall
durch. Es erhellet also hieraus, wie nöthig
die Erkenntniß der Lehre von den Einheiten
ist, welche in der Weltlehre abgehandelt wird,
und woraus zu erkennen ist, daß man den
Körpern eben sowol eine thätige Kraft (§
180 Weltl.), als eine Ausdehnung, beylegen
müsse (§ 223 Weltl.), und darum beyde
nicht anders, als zwey verschiedene bestehende
Dinge erscheinen können (§ 3012 Weltl.), da
sie doch nur bloß bestandmäßige Erscheinungen
sind (§ 300 Weltl.), wovon die Wirklichkeit
sich in den Einheiten befindet (§ 192
Weltl.), außer welchen nichts Bestehendes
in den Körpern anzutreffen ist (§ 177 Weltl.).
Es unterscheidet zwar Spinoza die ursprüngliche
Natur von der entsprungenen Natur
(Sittenl. 70): er hält aber das Wesen und
die Natur mit Descartes für gleichgültige
Wörter; wie man sonst insgemein das Wesen



|75| und die Natur mit einander vermenget,
und auch alle diejenigen mit einander vermengen
müssen, welche die Natur unter die Undinge
rechnen, und sagen, sie sey ein Götze,
den man dem höchsten Wesen an die Seite
setze. Denn er saget, die ursprüngliche Natur
sey dasjenige, was in sich ist und für sich
kann gedacht werden, oder solche Eigenschaften,
welche ein ewiges und unendliches Wesen
ausdrücken; das ist, Gott, so ferne derselbe,
als eine freye Ursache (nämlich frey von allem
äußerlichen Zwange) betrachtet wird:
die entsprungene Natur aber sey dasjenige,
was aus der Nothwendigkeit der göttlichen
Natur oder einiger von desselben Eigenschaften
folget; das ist, alle Weisen der göttlichen
Eigenschaften, so ferne sie betrachtet werden
als Dinge, welche in Gott sind, und welche
ohne Gott weder seyn noch gedacht werden
können. Er erkläret sich aber unten selbst
Sittenl. 86), daß nach ihm dasjenige zu
dem Wesen eines Dinges gehöre, ohne welches
das Ding, und auch umgekehrt, welches
ohne das Ding nicht seyn noch gedacht werden
kann. Da nun derselbe behauptet, man
müsse sich Gott durch solche Eigenschaften gedenken,
deren iede ein ewiges und unendliches
Wesen ausdrücket (§ 672); die Dinge
aber, welche außer Gott sind, oder die besondern
Dinge, nur bloß für Weisen hält,
durch welche die Eigenschaften Gottes auf gewisse



|76| und bestimmte Art ausgedrücket werden
(Sittenl. 64); und daher den Körper erkläret
druch eine Weise, welche das Wesen Gottes,
so ferne man solches als etwas Ausgedehntes
betrachtet, auf gewisse und bestimmte
Art ausdrücke (Sittenl. 85): wer sollte hieraus
nicht deutlich sehen, daß er ganze Unterschied
zwischen der ursprünglichen Natur
und der entsprungenen Natur nicht gesetzet
werde in die Verschiedenheit der thätigen
Kraft der besondern Dinge und Gottes; sondern
in die Verschiedenheit des Wesens Gottes
und der besondern Dinge? Übrigens
kann man von denen, welche Natur und Wesen
nicht von einander unterscheiden, nicht
anders sagen, als daß sie die Natur und Gott
eben so, wie Spinoza, mit einander vermengen,
weil dieser den Unterschied, welcher von
dem Wesen hergenommen wird, ebenfals einräumet;
es sey gleichwol also, daß sie die
Wirksamkeit derer Dinge, welche diesesWesen
haben, anders erklären: denn der Streit
zwischen Spinoza und seinen Gegnern ist nicht
von dem Wesen der Dinge, sondern von der
Wirksamkeit derselben. Wir haben zwar
gleichfals gezeiget, daß eine und dieselbe Kraft
der Seele sowol das Wesen als die Natur
derselben ausmache (§ 66, 67 vern. Seelenl.):
allein, wir haben nicht weniger erwiesen, daß
diese Kraft nicht in einer und derselben Absicht
das Wesen und die Natur der Seele sey;



|77| sondern sie mache das Wesen aus, so ferne sie
vielmehr auf diese als auf andere Vorstellungen,
welche vielmehr in dieser als in einer
andern Ordnung zur Wirksamkeit sollen gebracht
werden, eingeschränket wird: die Natur
derselben aber, so ferne sie solche zur Wirksamkeit
bringet (§ 68 vern. Seelenl.); so
daß durch die Natur dasjenige zur Wirklichkeit
gelanget, was man durch das Wesen als
möglich erkennet. Solchergestalt unterscheiden
wir das Wesen der Seele und die Natur
derselben genugsam von einander, wie es nämlich
beyderley Begriffen gemäß ist. Diesen
Unterschied aber kann Spinoza nicht einmal
in der Seele zulassen, indem er die Wirksamkeit
oder die Macht, nach welcher dasjenige,
was da ist, zur Wirksamkeit gelanget, Gott
allein zuschreibet, und aus der entsprungenen
Natur in dem so genannten Gegensatze des
Wesens, ein Unding machet.

§ 697.

~ Spinoza hat nicht erwiesen, daß
in der ganzen Natur nicht zwey oder
mehrere bestehende Dinge gleiches
Wesens oder gleicher Eigenschaft seyn
könnten (Sittenl. 22). Denn die ganze
Stärke der Schlüsse, auf welchen der
vorgegebene Beweis beruhet, kommt
Unmöglichkeit, daß zwey bestehende Dinge gleiches Wesens da seyn sollten, von Spinoza nicht erwiesen.




|78| darauf an, daß sonst einerley nicht von
einander unterschieden werden könnte,
und daher eines und dasselbe Ding wäre.
Da derselbe die Eigenschaft mit
den wesentlichen Bestimmungen vermenget
(§ 679): so ist es eben so viel, als
wenn er sagte; zwey bestehende Dinge,
welche einerley gemeinsames Wesen hätten,
könnten durch das Wesen nicht von
einander unterschieden werden. Allein,
dieses kommt daher, weil er die Eigenschaft,
durch welche seiner Meinung nach
das Wesen des bestehenden Dinges, oder
besser zu reden, des Dinges überhaupt
(§ 673), ausgedrücket wird, für etwas
Uneingeschränktes annimmt, oder in dem
Stande ansiehet, da es die ursprünglichen
Schranken abgeleget hat: und also,
so ferne es eine gewisse höhere Gattung,
zum Beyspiele, den Körper überhaupt,
ausmachet, und folglich ein gewisses allgemeines
Ding vorstellet (§ 230 Grundl.).
Da nun die allgemeinen Dinge nicht
wirklich da sind (§ 235 Grundl.), sondern
nur allein die besondern, welche auf
alle Weise bestimmet sind (§ 226, 227
Grundl); die ursprünglichen Schranken
aber, welche die wesentlichen Bestimmungen



|79| an sich haben und wodurch
die Wesen der Dinge von einander unterschieden
werden, ihnen dergestalt ankleben,
daß sie von ihnen sich nicht absondern
lassen (§ 894, 895, 1 Th. nat.
Gottesg.): so ist allerdings klar, daß
derselbe keinesweges erwiesen habe, daß
nicht zwey oder mehr bestehende Dinge
gleicher Natur, oder welche ein gemeinsames
Wesen unter einander haben, in
der gesammten Natur seyn könnten.
~ Es hilft nichts, wenn man hierbey den
Einwurf machen wollte: Spinoza nehme das
bestehende Ding nicht in dem gewöhnlichen
Verstande (§ 683), sondern vermenge solches
mit dem von sich selbst seyenden Dinge
(§ 684); und also sey es eben so viel, als
wenn er gesaget hätte: es könnten nicht zwey
von sich selbst seyende Dinge seyn, welche einerley
Wesen hätten; und dieses halte nichts
in sich, welches der Wahrheit entgegen wäre.
Denn Spinoza mißbrauchet diesen Satz, sein
Lehrgebäude damit zu übertünchen. So stehet
es auch keinem Weltweisen an, dasjenige
in seinen Erklärungen unter einander zu mengen,
was da hätte unterschieden werden sollen,
damit ihre Zweydeutigkeit gestatten möge,
solche Sätze daraus zu folgern, welche
sich sonst keinesweges daraus hätten herleiten



|80| lassen. Da Spinoza die Ausdehnung für
eine Eigenschaft hält, welche ein unendliches
und ewiges bestehendes Ding ausdrücket: so
folget freylich kraft dieses Satzes, daß es
nicht mehr als ein einziges ausgedehntes bestehendes
Ding gebe; daß solches das von
sich selbst seyende Ding sey, und daß durch
die Macht oder Kraft desselben bestehenden
Dinges, in beständigen Abwechselungen seiner
Weisen, die Körper hervorkommen. Und
hieraus wird noch ferner durch Schlüsse herausgebracht:
daß die Welt ewig und ein
nothwendiges Ding sey; daß in derselben alles
nach einer blinden oder unvermeidlichen
Nothwendigkeit geschehe, und in ihr keine
Absichten statt haben: dergleichen Schlüsse
Spinoza auch daraus hergeleitet hat. Wenn
derselbe die Begriffe des von sich selbst seyenden
und des bestehenden Dinges, wie es billig
gewesen wäre, von einander unterschieden,
und nicht mehr, als die Unmöglichkeit mehrerer
von sich selbst seyenden Dinge, welche
völlig einerley Wesen haben, erwiesen hätte:
so wäre kein Irrthum aus einer Verwirrung
zu befürchten gewesen. Es ist daher nöthig,
daß man nichts als erwiesen annimmt, was
nach der eingeführten Bedeutung der Wörter
nicht angenommen werden kann, und daß
man die Zweydeutigkeit, welche auf Abwege
führet, wegräumet. Der Irrthum Spinozas
kommt daher, daß er alle Schranken für



|81| Weisen gehalten, und die ursprünglichen
Schranken, welche den wesentlichen Bestimmungen
für sich ankleben, und für sich selbst,
das ist, ohne etwas anderes vorauszusetzen,
sich gedenken lassen, von den veränderlichen,
welche abwechseln können, indem jene einerley
bleiben, nicht unterschieden hat: imgleichen
daher, daß er stillschweigends als einen
Grundsatz angenommen hat; ein iedes bestehendes
Ding müsse unendlich seyn, folglich
könne das Wirkliche, wodurch man es
sich gedenket, ganz und gar keine Grenzen
vertragen.

§ 698.

~ Nach der gewöhnlichen Bedeutung
ist es dem Begriffe des bestehenden
Dinges nicht zuwider, daß mehrere
derselben von einer Gattung oder einer
Art sind: ja es giebt wirklich
mehrere dergleichen. Denn nach der
gewöhnlichen Bedeutung ist das bestehende
Ding ein solches, worinnen das
Wesentliche und die Eigenschaften einerley
bleiben, da inzwischen die Weisen sich
wechselsweise ändern (§ 770 Grundl.).
Die Gattungen und Arten der Dinge
haben einerley Wesentliches (§ 233,
234, 247 Grundl.), imgleichen einerley
Das Gegentheil wird gezeiget.




|82| Eigenschaften, und sowol die nächste als
die entfernte Möglichkeit von einerley
Weisen, welche unter einer Bedingung
von ihnen ausgesaget werden (§ 268,
269 Grundl.). Daher ist es dem Begriffe
des bestehenden Dinges in der gewöhnlichen
Bedeutung keinesweges zuwider,
daß ihrer mehrere von einer Gattung
oder einer Art sind.Welches
das erste war.
~ Eine iede Seele ist ein bestehendes
Ding (§ 48 vern. Seelenl.), und es
kann niemand leugnen, daß dieselben
wirklich da seyen (§ 21 erfahr. Seelenl.).
Das Wesen einer ieden Seele bestehet
in einer Kraft, sich die Welt vorzustellen,
welche von außen durch den Stand
des Leibes in der Welt, und von innen
durch die Beschaffenheit der sinnlichen
Gliedmaßen eingeschränket wird (§ 66
vern. Seelenl.). Sie haben also insgesamt
einerley Wesen mit einander gemein:
folglich, weil die einzeln Dinge
in so ferne von einer Gattung und Art
sind, als sie einerley wesentliche Bestimmungen
haben (§ 254 Grundl.); sind
dieselben von einer Gattung oder einer
Art. Daher giebt es wirklich mehrere bestehende



|83| Dinge von einer Gattung oder
einer Art. So sind auch die Körper Versammlungen
einfacher bestehender Dinge
(§ 176 Grundl.), welches die Einheiten
derselben sind (§ 182 Grundl.). Daß
aber alle Einheiten zu einer Gattung
oder einer Art gehören, das ist aus der
ganzen Lehre von denselben, welche in
der Weltlehre vorgetragen worden, deutlich
zu ersehen. Es giebt also so viel bestehende
Dinge von einer Gattung oder
einer Art, als Einheiten der materialischen
Dinge sind. Und hieraus erhellet
aufs neue, daß mehrere bestehende Dinge
von einer Gattung oder einer Art
wirklich sind. Welches das andere war.
~ Man würde einen vergebenen Einwurf
machen, wenn man sagen wollte: die Seelen
und Einheiten der materialischen Dinge wären
keine bestehenden Dinge in Spinozas Verstande.
Denn Spinoza nimmt das bestehende
Ding nicht in der gewöhnlichen Bedeutung,
und bringet stillschweigends in den
Begriff desselben das Daseyn von sich selbst
hinein (§ 684). Er hätte aber das Wort,
bestehendes Ding, in der gewöhnlichen Bedeutung
nehmen, und alsdann, wenn er gekonnt
hätte, erweisen sollen, daß in derselben



|84| Bedeutung ein iedes bestehendes Ding ein von
sich selbst seyendes Ding seyn müsse: dieses
aber hat er nicht erwiesen, und auch nicht
erweisen können. Daß man mit zweydeutigen
Worten in die Begriffe hinein bringet,
was nicht in denselben statt haben kann; und
daß man ihre Wirklichkeit nicht erweiset, wie
Spinoza gethan hat: das ist nicht allein den
Regeln einer richtigen Lehrart entgegen; sondern
es ist auch eine Quelle der Irrthümer
(§ 631 Vern.), weil aus einem Irrthume
selbst bey der erweisenden Lehrart, deren sich
Spinoza zu Errichtung sines Lehrgebäudes
bedienen wollen, ihrer mehrere folgen (§ 628
Vern.). Es wird daher niemand mit Recht
an uns tadeln können, daß wir aus wahren
Gründen wider Spinoza streiten, und nach
entdeckter Falschheit der betrieglichen Begriffe,
den daraus hergeleiteten Schlüssen solche
Sätze entgegen setzen, welche aus wahren
Gründen sind erwiesen worden: man müßte
dann die beste Art zu widerlegen verwerfen
wollen (§ 1036 Vern.).

§ 699.

~ Spinoza hat nicht erwiesen, daß
ein bestehendes Ding nicht von einem
andern bestehenden Dinge könne hervorgebracht
werden, ja, daß solches
überall nicht von etwas anderem
Die Unmöglichkeit der Schöpfung ist von Spinoza nicht erwiesen.




|85| könne hervorgebracht werden. Denn,
wenn derselbe beweisen will (Sittenl.
23), ein bestehendes Ding könne nicht
von einem andern bestehenden Dinge
hervorgebracht werden; und wenn er
daraus folgern will (daselbst, 24), es
könne überhaupt nicht von etwas anderem
hervorgebracht werden: so setzet er
als erwiesen voraus, daß in der gesamten
Natur nicht zwey bestehende Dinge
gleicher Eigenschaft oder gleiches Wesens,
das ist, von einerley Gattung oder einer
Art, seyn könnten. Allein, Spinoza
hat dieses keinesweges erwiesen (§ 697),
vielmehr lässet sich das Gegentheil davon
erweisen (§ 698). Da nun dasjenige
nicht erwiesen ist, in dessen Beweis noch
nicht erwiesene Sätze hinein gebracht
werden (§ 498 Vern.); und also man
noch viel weniger alsdann etwas erwiesen
nennen kann, wann Sätze hinein
kommen, wovon sich das Gegentheil erweisen
lässet: so ist klar, Spinoza habe
keinesweges erwiesen, daß ein bestehendes
Ding von einem andern bestehenden
Dinge nicht hervorgebracht werden könne,
ja, daß solches überhaupt nicht von etwas
anderem hervorgebracht werden könne.



|86| ~ Es bemühet sich zwar Spinoza, die Unmöglichkeit
der Hervorbringung eines bestehenden
Dinges durch das andere, auch durch
den Widerspruch des Gegensatzes, zu erweisen:
allein dieser vorgegebene umgekehrte Beweis
ist nicht bündiger, als der gerade. Denn
es saget, wenn ein bestehendes Ding von etwas
anderem hervorgebracht würde: so müßte
die Erkenntniß desselben auf der Erkenntniß
seiner Ursache beruhen; weil er nämlich
vorher angenommen hatte (Sittenl. 14),
die Erkenntniß der Wirkung beruhe auf der
Erkenntniß der Ursache: daraus folge aber,
daß es kein bestehendes Ding sey, kraft der
Erklärung desselben (§ 674). Allein, man
muß allerdings einen Unterschied machen unter
der Erkenntniß der Möglichkeit, und der
Erkenntniß der Wirklichkeit. Denn, wenn
in der Erklärung des bestehenden Dinges gesaget
wird, daß solches für sich gedacht werde,
und man diese Worte also ausleget, daß die
Erkenntniß desselben Dimges nicht auf der
Erkenntniß eines andern Dinges beruhe: so
können solche weiter nichts bedeuten, als, daß
wir von demselben Dinge einen Begriff haben
und seine Möglichkeit erweisen können,
wenn wir gleich keinen Begriff von einem andern
Dinge voraussetzen. Eben so, als wir
den Begriff von einem gleichseitigen Dreyecke
haben und die Möglichkeit desselben erweisen
können, ob wir gleich unsere Gedanken nicht



|87| auf die Möglichkeit einer andern Figur richten:
so daß man sich das Dreyeck nicht als
möglich gedenken könnte, wenn man nicht
auch dieselbe Figur als möglich annähme,
und folglich seine Möglichkeit die Möglichkeit
der andern voraus setze. Allein, das
Verursachte beruhet auf der Ursache in Ansehung
der Wirklichkeit oder des Daseyns (§
881 Grundl.), und also lässet sich aus demjenigen,
was in der Ursache enthalten ist,
verstehen, warum dergleichen Ding, von
welchem bereits anderswoher bekannt ist, daß
es möglich sey, und welches möglich seyn
würde, wenn man auch den unmöglichen Fall
annehmen wollte, daß die Ursache desselben
nicht möglich wäre, zur Wirklichkeit gelanget:
folglich setzet die Erkenntniß der Wirklichkeit
oder des Daseyns, die Erkenntniß der Ursache
voraus. Daher, wenn man gleich einräumet,
daß das bestehende Ding mit Recht
erkläret werde durch dasjenige, was für sich
selbst sich gedenken lässet: so wird doch daraus,
daß man setzet, es werde von etwas anderem
hervorgebracht, keinesweges folgen,
daß es nicht für sich selbst gedacht werden
könne. Will ein Spinozist einwenden; es
werde in der Erklärung hinzugesetzet, ein bestehendes
Ding sey dasjenige, was in sich
selbst ist; und also müsse man die Worte,
und für sich selbst sich gedenken lässet, auch
auf die Wirklichkeit ziehen: so ist hierauf gar



|88| leicht zu antworten. Nämlich, Spinoza
hätte beweisen sollen, daß von demjenigen,
was ohne die vorausgesetzte Möglichkeit eines
andern Dinges als möglich erkannt wird,
auch die Wirklichkeit oder das Daseyn könne
verstanden werden (nämlich aus Gründen
oder durch den Begriff des Dinges), ohne
das Daseyn eines andern Dinges voraus zu
setzen: dieses aber hat er nirgends erwiesen,
gleichwie er es auch nimmermehr erweisen
konnte. Er vergehet sich aber darinnen wider
die Regeln der richtigen Vernunftlehre, daß
er in der Erklärung dasjenige zusammenhäufet,
deren eines durch das andere bestimmet
wird (§ 836 Vern.), und sich zweydeutiger
Worte bedienet (§ 160 Vern.): ja, als zugegeben
annimmt, was doch vorher erwiesen
werden muß, ehe man es zugeben kann. Da
übrigens Spinoza in demjenigen Satze, worinnen
er die Hervorbringung eines bestehenden
Dinges durch das andere bestreitet, die
Unmöglichkeit der Schöpfung erwiesen zu
haben glaubet: so erhellet aus dem gegenwärtigen
Satze, daß diese Unmöglichkeit keinesweges
von demselben erwiesen werden,
und man also die erschaffende Kraft, welche
Gott beygeleget wird, nicht unter die Undinge
rechnen könne.



|89|
§ 700.

~ Spinoza hat nicht erwiesen, daß
das bestehende Ding nothwendig da
sey. Denn, wenn derselbe beweisen
will (Sittenl. 25), es gehöre mit zu
dem Wesen eines bestehenden Dinges,
daß es da sey: so setzet er voraus, daß
solches von nichts anderem könne hervorgebracht
werden. Da er aber nicht erwiesen
hat, daß ein bestehendes Ding
nicht von etwas anderem könnte hervorgebracht
werden (§ 699): so kann man
auch nicht sagen, er habe erwiesen, daß
zu dem Wesen des bestehenden Dinges
das Daseyn mit gehörete, oder daß das
bestehende Ding nothwendig da wäre.
~ Es irret also derselbe, wenn er solchergestalt
das bestehende Ding mit dem von sich
selbst seyenden Dinge vermenget (§ 684),
indem er nämlich das, von sich selbst seyn, in
den Begriff des bestehenden Dinges hinein
bringet. Wenn man den Begriff des bestehenden
Dinges betrachtet, daß solches nämlich
ein Ding ist, welches beständige und veränderliche
Bestimmungen in sich fasset (§
769 Grundl.), deren einige also sich wechselweise
in andere verändern, indem die übrigen
einerley bleiben (§ 762 Grundl.): so
Daß das bestehende Ding von sich selbst sey, ist von Spinoza nicht erwiesen.




|90| wird man wahrhaftig aus demselben keinesweges
den Schluß machen können, daß solches
nothwenig da sey. Und wenn auch
iemand unternehmen wollte, dieses ohne richtige
Folgerung daraus herzuleiten: so würden
ihn doch die Beyspiele der Seelen und
Einheiten eines Irrthums überführen.

701.

~ Nicht ein iedes bestehendes Ding
ist nothwendig da, oder das Wesen
des bestehenden Dinges schließet keinesweges
das nothwendige Daseyn
in sich. Denn die Einheiten der materialischen
Dinge und die menschlichen
Seelen, sind zufällige Dinge (§ 331).
Da nun ein zufälliges Ding den zureichenden
Grund des Daseyns nicht in
seinem Wesen hat (§ 310 Grundl.): so
wird dadurch, daß man das Wesen der
Einheiten und menschlichen Seelen setzet,
noch nicht das Daseyn derselben gesetzet
(§ 118 Grundl.); und also schließet das
Wesen derselben das nothwendige Daseyn
nicht in sich. Es sind aber die Einheiten
der materialischen Dinge (§ 182
Weltl.) und die menschlichen Seelen,
bestehende Dinge (§ 48 vern. Seelenl.).
Das Gegentheil wird erwiesen.




|91| Daher schließet das Wesen des bestehenden
Dinges das nothwendige Daseyn
keinesweges in sich, und also ist nicht
ein iedes bestehendes Ding nothwendig
da.
~ Es erhellet auch schon aus dem, was wir
bey dem vorhergehenden Satze angemerket
haben, daß der Begriff des bestehenden Dinges
das nothwendige Daseyn keinesweges in
sich schließe. Die Zweydeutigkeit der Worte
Spinozas, in sich selbst seyn und in einem
andern seyn, führet das Gemüth nicht allein
in eine Dunkelheit, sondern machet auch dasselbe
verwirrt, daß es nicht weis, wie es sich
heraus helfen soll. Wer aber seinen Verstand
aus der Grundlehre mit deutlichen und
bestimmten Begriffen, deren Wirklichkeit in
den Dingen selbst zu spüren ist, angefüllet
hat: der findet keine Schwierigkeit die Wahrheit
einzusehen. Daher habe ich bereits oben
erinnert (Anm. zu § 672), ma müsse die
Erklärungen Spinozas wohl untersuchen:
zumal da derselbe vieles annimmt, was er
nicht beweiset, und was auch seiner Meinung
nach keines Beweises bedarf, weil er
glaubet, daß er sich solches gedenke; und dabey
voraussetzet, alles dasjenige sey wahr,
was sich gedenken lässet. Aus dieser Ursache
haben wir auch über alle die Erklärungen
Spinozas eine Prüfung angestellet.



|92|
§ 702.

~ Spinoza hat nicht erwiesen, daß
ein iedes bestehendes Ding nothwendig
unendlich seyn müsse. Denn,
indem er dieses beweisen will: so setzet er
voraus, es sey nicht mehr als ein einziges
bestehendes Ding von einerley Eigenschaft
oder Gattung vorhanden; dieses
sey nothwendig da, und müsse, wenn
es endlich sey, von einem andern Dinge
gleicher Natur oder gleiches Wesens seine
Schranken erhalten. Allein, es hat
derselbe weder dieses erwiesen, daß keine
zwey oder mehrere bestehende Dinge von
einerley Wesen wirklich seyn könnten (§
697), noch auch erhärtet, daß ein iedes
bestehendes Ding nothwendig da wäre
(§ 700): vielmehr lässet sich von beyden
das Gegentheil darthun (§ 698, 701).
Überdem sind in der Erklärung des Endlichen
die Worte: daß solches durch ein
anderes von gleicher Natur oder gleichem
Wesen seine Schranken erhalte, wie das
Denken durch ein anderes Denken;
nicht allein zweydeutig und schicken sich
nicht zu einer Erklärung (§ 685): sondern
sie sind auch, wenn sie gleich nach
einem erträglichen Verstande ausgeleget
Die Unendlichkeit eines ieden bestehenden Dinges ist von Spinoza nicht erwiesen.




|93| werden, nicht bey ieder Gattung der
Dinge der Wahrheit gemäß (§ 686).
Es erhellet also, eben wie vorhin (§
697, 699), Spinoza habe nicht erwiesen,
daß ein iedes bestehendes Ding nothwendig
unendlich sey.
~ Man siehet hieraus zur Genüge, daß der
Irrthum immer weiter um sich greifet, welches
auch, wenn man sich der beweisenden
Lehrart bedienet, bekannter maßen nicht anders
seyn kann (§ 628 Vern.). Wenn also
der Irrthum, welcher sich in die Gründe und
ersten Sätze eingeschlichen, entdecket ist: so
fället hernach dasjenige, was ferner daraus
hergeleitet wird, von sich selbst über einen
Haufen. Spinoza hat es selbst gemerket,
daß man um seines Beweises willen die Unendlichkeit
des bestehenden Dinges überhaupt
nicht leicht einräumen werde: daher will er
dieselbe in der beygefügten weitläuftigen Anmerkung
vertheidigen (Sittenl. 28), und beschuldiget
darinnen die Gegner, daß sie aus
undeutlichen Begriffen von den Dingen urtheilten
und dieselben nicht aus ihren ersten
Gründen erkenneten. Allein, wir haben
oben gesehen, daß Spinoza dieses Fehlers
selbst schuldig ist (§ 687), indem er nämlich
es bey undeutlich empfundenen Begriffen bewenden
lässet: und daher ist es auch gekommen,
daß er die ersten Ursachen so, wie sie



|94| mit seinen Lehrsätzen übereinkommen, erdichtet,
aber nicht, wie sie in der That sind, erwiesen
hat.

§ 703.

~ Nicht ein iedes bestehendes Ding
ist nothwendig unendlich oder ohne
Schranken. Denn die menschlichen
Seelen sind bestehende Dinge (§ 48
vern. Seelenl.), und auch zugleich endlich
(§ 264 vern. Seelenl.), indem die
Endlichkeit sogar zu dem Wesen derselben
gehöret (§ 265 vernünft. Seelenl.).
Auch die Einheiten der materialischen
Dinge, sind einfache bestehende Dinge
(§ 182 Weltl.), und eben sowol endlich
(§ 203 Weltl.). Die Seelen und die
Einheiten der materialischen Dinge, sind
also eingeschränkte bestehende Dinge (§
173, 1 Th. nat. Gottesg.). Daher ist
nicht ein iedes bestehendes Ding unendlich
oder ohne Schranken.
~ Spinoza saget zwar mit großer Zuversicht
(Sittenl. 28): diejenigen, welche die Unendlichkeit
des bestehenden Dinges in Zweifel zögen,
wüßten nicht, wie die Dinge entstünden.
Allein aus dem, was von dem Ursprunge
aller Dinge aus Gott in dem ersten
Das Gegentheil wird dargethan.




|95| Abschnitte erwiesen worden, erhellet das Gegentheil
zur Genüge. So viel ist wahr,
wenn man alles auf die erste Ursache führet:
so kann man sich die endlichen Dinge, wovon
die gegenwärtige Welt eine Reihe ist (§ 55
Weltl.), nicht ohne ein unendliches bestehendes
Ding, welches Gott ist, gedenken; und
also setzet die Erkenntniß derselben die Erkenntniß
von diesem voraus. Es ist aber aus dem
obigen klar, daß aus den Schranken der
Wirklichkeiten, welche in Gott sind, die abgeleiteten
ursprünglichen möglichen Dinge entstehen
(§ 91), aus deren Verknüpfung die
Wesen der eingeschränkten Dinge ihren Ursprung
haben (§ 94). Allein, durch diese
werden die eingeschränkten Dinge nur allein
nach ihrer Möglichkeit erkannt (§ 153
Grundl.); es erhellet aber daraus noch nicht,
warum sie wirklich da sind (§ 172 Grundl.).
Ich will füritzo nicht gedenken, daß man die
unendlichen Wirklichkeiten, welche in Gott
sind, keinesweges also ansehen könne, als
wenn sie aus allen eingeschränkten Wirklichkeiten
zusammengesetzet wären, wie Spinoza
thut. Hiervon werden wir aber bald ausführlicher
handeln.

§ 704.

~ Spinoza hat nicht erwiesen, daß
außer Gott kein bestehendes Ding
Daß das bestehende Ding der Zahl nach nur ein einziges sey, ist von Spinoza nicht erwiesen.




|96| mehr seyn noch gedacht werden könne,
oder daß es nicht mehr als ein bestehendes
Ding gebe, und daß dieses
unendlich sey. Denn, wenn er solches
beweisen will: so setzet er voraus, es
können keine zwey bestehende Dinge gleicher
Eigenschaft oder gleiches Wesens
seyn; imgleichen, ein iedes bestehendes
Ding sey unendlich, und Gott bestehe
aus unendlichen Eigenschaften. Allein,
Spinoza hat keinesweges erwiesen, daß
keine zwey oder mehrere bestehende Dinge
von einerley Eigenschaft seyn könnten
(§ 697); noch auch, daß ein iedes bestehendes
Ding unendlich wäre (§ 702):
vielmehr lässet sich das Gegentheil davon
zeigen (§ 698, 703). So nimmt auch
derselbe zwar in der Erklärung an, daß
unendliche Eigenschaften in Gott zu finden
seyen (§ 672): er giebt aber nirgends
einen Beweis davon. Es erhellet
also hieraus aufs neue, eben wie zuvor
(§ 697, 699): Spinoza habe keinesweges
erwiesen, daß außer Gott kein
bestehendes Ding mehr seyn noch gedacht
werden könnte, oder daß es nicht mehr
als ein bestehendes Ding gäbe, und daß
dieses unendlich wäre.



|97| ~ Daß nur ein einziges bestehendes Ding sey,
das machet den vornehmsten Grundsatz der
Spinozisterey aus (§ 671). Man siehet
also nunmehr deutlich, auf welchem schlüpfrigen
Grunde dieselbe beruhe.

§ 705.

~ Da wir bereits gezeiget haben, es sey
dem Begriffe des bestehenden Dinges in
der gewöhnlichen Bedeutung desselben
nicht zuwider, daß ihrer mehrere von
gleicher Gattung oder gleicher Art seyen,
ja daß es wirklich mehrere gebe (§ 698);
imgleichen, daß nicht ein iedes bestehendes
Ding nothwendig unendlich oder ohne
Schranken seyn müsse (§ 703): so
ist allerdings falsch, daß außer Gott
kein bestehendes Ding mehr seyn noch
gedacht werden könne, oder daß es
nicht mehr als ein bestehendes Ding
gebe, und daß dieses unendlich sey
(§ 505 Vern.).
~ Wenn Spinoza das von sich selbst seyende
Ding von dem bestehenden Dinge genugsam
unterschieden hätte, wie derselbe iedoch bekannter
maßen nicht gethan hat (§ 684);
und wenn er die Weisen nicht mit dem von
einem andern seyenden Dinge vermenget (§
Daß das Gegentheil wahr sey, wird erhärtet.





|98|
682), und die Endlichkeit von der Unendlichkeit
besser abgesondert hätte, als von ihm geschehen
ist (§ 677, 685): so würde er nicht
in den seltsamen Irrthum verfallen seyn, daß
nur ein einziges bestehendes Ding, und daß
solches unendlich wäre.

§ 706.

~ Eine iede unendliche Wirklichkeit,
insbesondere das unendliche Denken,
ist nicht aus endlichen Wirklichkeiten
zusammengesetzet, welche der Zahl
nach unendlich sind. Der menschliche
Verstand, von welchem kein Zweifel seyn
kann, daß derselbe etwas Wirkliches sey
(§ 5), hat Schranken in Ansehung der
Art sich die Gegenstände vorzustellen, so
ferne er nämlich nicht alles, was sich in
ihnen unterscheiden lässet, zu unterscheiden
vermag (§ 279 erfahr. Seelenl.).
Und also ist derjenige Verstand ohne
Schranken, welcher alles, was sich in
einem Gegenstande unterscheiden lässet,
zu unterscheiden vermag (§ 468 Grundl.).
Allein, man mag einen Verstand, welcher
nicht alles, was sich von einander
unterscheiden lässet, zu unterscheiden vermag,
so oft nehmen als man will: so
Unrichtiger Begriff der unendlichen Wirklichkeit, verworfen.




|99| wird dennoch kein Verstand herauskommen,
welcher alles, was sich in einem
ieden Gegenstande unterscheiden lässet,
wirklich von einander unterschiede; sondern
nur, eine Menge mehrerer Verstände,
von welchen ein ieder keinesweges
alles, was sich in einem Gegenstande
unterscheiden lässet, zu unterscheiden vermag:
folglich ist ein endlicher Verstand
von ganz anderer Gattung, als ein unendlicher
(§ 32 lat. Rechenk.). Es erhellet
also hieraus, daß eine iede unendliche
Wirklichkeit nicht aus endlichen
Wirklichkeiten zusammengesetzet sey, welche
der Zahl nach unendlich sind. Da
das Denken eine Vorstellung mit
dem Bewußtseyn (§ 26 erfahr. Seelenl.);
das Bewußtseyn aber ein Geschäfte der
Seele ist, nach welchem sie sich einen ieden
Gegenstand vorstellet (§ 24 erfahr.
Seelenl.): so lässet sich von demselben
auf gleiche Weise darthun, daß solches keinesweges
aus endlichen Wirklichkeiten,
welche der Zahl nach unendlich sind, zusammengesetzet
sey.
~ Dieser Begriff des Unendlichen ist nur bloß
ein eingebildeter Begriff, vor welchem sich Spinoza
nicht in Acht genommen hat: ob er gleich



|100| andere beständig tadelt, daß sie die Einbildungskraft
mit dem Verstande mit einander verwirrreten,
und keinen Unterschied machten unter
dem, was wir uns einbilden, und unter demjenigen,
was wir deutlich begreifen. Denn von
den Wirklichkeiten, daß ich sie so nenne, nimmt
er nicht mehr als ihrer zwo als die vördersten an,
die uns bekannt seyen, nämlich die Ausdehnung
und das Denken. Da nun derselbe von der
Ausdehnung, welche er mit Unrecht für etwas
Wirkliches hält (§ 689), nur bloß einen verwirrten
Begriff hegete (§ 688): so meinete er,
er hätte einen Begriff von der unendlichen Ausdehnung,
weil er sich immer noch eine weitere
Größe, als eine iede gegebene, einbilden konnte:
und also glaubte er, der Begriff von der unendlichen
Ausdehnung entstünde, wenn man eine
iede gegebene endliche oder begrenzte Ausdehnung
unendlichmal nähme, welcher Begriff
von einer unendlichen Größe, iedoch nur bloß
ein eingebildeter Begriff ist, wie wir längst anderswo
gezeiget haben (§ 804 Grundl.). Nach
der Ähnlichkeit der unendlichen Ausdehnung,
hat er sich nun auch ein unendliches Denken eingebildet,
als wenn solches durch beständige und
unendlich fortgesetzte Hinzusetzung eines endlichen
Denkens entstünde. Daher kam es ihm
vor, als wenn die unendliche Ausdehnung aus,
der Zahl nach, unendlichen ausgedehnten Dingen,
und das unendliche Denken aus, der Zahl
nach, unendlichen denkenden Dingen zusammengesetzet
wäre: demjenigen zuwider, was



|101| wir in dem gegenwärtigen Satze erwiesen haben.
Wenn aber derselbe überleget hätte, daß
man sich das endliche Ding durch die Schranken
gedenke, welche demselben nothwendig ankleben:
so würde er gemerket haben, daß der
Begriff des unendlichen Dinges dadurch entstehe,
daß man alle Schranken wegnimmt. Da
nun die Schranken die Figur des Ausgedehnten
sind (§ 621 Grundl.): so würde er erkannt
haben, daß wir nicht eher einen Begriff von einer
unendlichen Ausdehnung haben können,
als bis man erwiesen habe, es könnte ein ausgedehntes
Ding seyn, welches ganz und gar keine
Figur hätte. Und weil bey den Gedanken oder
demjenigen Geschäfte, da das Mögliche in der
Seele vorgestellet wird, so daß wir uns dessen
bewußt sind (§ 23 erfahr. Seelenl.), die
Schranken darinnen bestehen, daß nicht alles
auf einmal deutlich vorgestellet wird: so würde
er eingesehen haben, daß er nicht eher von einem
unendlichen Denken einen Begriff haben könne,
als bis man erwiesen habe, die deutliche oder
vollständige Vorstellung alles Möglichen zugleich,
sey möglich, oder es sey ein Ding vorhanden,
welchem solche zukomme. Hieraus würde
derselbe gelernet haben, daß das unendliche
Denken alle endlichen oder eingeschränkten Gedanken,
welche möglicher Weise vorgestellet werden
können, nur bloß auf vorzügliche Art in sich
fasse, so ferne es nämlich die Stelle derselben ersetzet
(§ 845 Grundl.).



|102|
§ 707.

~ Die endlichen denkenden Dinge
entstehen nicht aus Abwechselung der
Weisen in dem unendlichen Denken,
als einer göttlichen Eigenschaft, und
man kann dieselben keine Weise der
göttlichen Eigenschaft, nämlich des
unendlichen Denkens, nennen. Denn
man setze, wenn es geschehen kann, daß
die endlichen oder eingeschränkten denkenden
Dinge entstünden, aus Abwechselung
der Weisen in dem unendlichen
Denken, welches als eine göttliche Eigenschaft
betrachtet wird, das ist als etwas,
welches das unendliche Wesen
Gottes ausdrücket oder ausmachet (§
673). Da ein iedes Ding entstehet,
indem es anhebet da zu seyn (§ 541
Grundl.): so ist ein denkendes Ding da,
indem das unendliche Denken, welches als
eine göttliche Eigenschaft betrachtet wird,
die das Wesen Gottes ausmachet, Abwechselungen
der Weisen bekommt; und
die unendlichen denkenden Dinge müssen
da seyn, so ferne dasselbe Denken auf unendliche
Arten in seinen Weisen abwechselt.
Also machen der Zahl nach unendliche denkende
Dinge zusammen genommen, das
Falscher Begriff Spinozas von den denkenden Dingen, zernichtet.




|103| unendliche Denken aus, und aus diesem
bestehet das Wesen Gottes, oder dieses ist
aus jenen zusammengesetzet. Da nun
solches ungereimt ist (§ 706): so ist es unmöglich,
daß die endlichen oder eingeschränkten
denkenden Dinge aus Abwechselung
der Weisen in dem unendlichen
Denken, welches als eine göttliche Eigenschaft
betrachtet wird, entstehen sollten.
Welches das erste war.
~ Da nun die endlichen denkenden Dinge
nicht entstehen aus Abwechselung der Weisen
in dem unendlichen Denken, welches
als eine göttliche Eigenschaft betrachtet
wird; nach dem, was nur erst erwiesen
worden: so ist für sich klar, daß man dieselben
keine Weisen der göttlichen Eigenschaft,
nämlich des unendlichen Denkens,
nennen kann. Welches das andere war.
~ Wenn Spinoza den deutlichen Begriffen der
Schranken, ohne welche kein deutlicher Begriff
des Eingeschränkten statt haben kann, und des
unendlichen Denkens, nachgeforschet, und nicht
von dem eingebildeten Begriffe der unendlichen
Ausdehnung auf das unendliche Denken geschlossen
hätte: so würde er ohne Schwierigkeit
wahrgenommen haben, daß die denkenden
Dinge keinesweges entstehen könnten aus den
Schranken des unendlichen Denkens, so daß



|104| dieselben wirklich in Gott enthalten wären als
solche, die zu seinem Wesen gehöreten und ohne
ihn sich auf keine Weise als möglich gedenken
ließen. Der Begriff von der Seele, so ferne
diese sich ihrer selbst bewußt ist, ist der Seele wesentlich:
und da derselbe eingeschränket ist (§ 63
vern. Seelenl.); so haben wir einen Begriff
von einem eingeschränkten Denken, daß ich Spinozas
Redensarten gebrauche, ob wir gleich dabey
nicht den mindesten Gedanken von Gott haben.
Der Begriff aber von dem unendlichen Denken
entstehet, indem wir die Schranken wegnehmen,
welche sich darinnen befinden (§ 1095, 1 Th. nat.
Gottesg.): und die Wirklichkeit desselben beweiset
man daher, weil eine iede Wirklichkeit in
dem allerhöchsten Grade möglich ist (§ 12).
Daß aber das Daseyn oder die Wirklichkeit der
Seele, als eines endlichen denkenden Dinges,
ohne Gott nicht gedacht, das ist, nicht aus Gründen
erwiesen werden kann: das lässet sich nicht
eher, als nachdem man ihre Zufälligkeit dargethan
hat (§ 331), erkennen (§ 335, 338). Und
wenn man endlich alles auf die erste Ursache,
nämlich Gott, führet: so verstehet man alsdann
auch, daß der Begriff von der Seele auf
Gott beruhet (§ 97). Auf diese Art aber sind
die Seelen endliche bestehende Dinge, ohne welche
zwar Gott da seyn kann, allein, welche ohne
Gott nicht da seyn können. Und solchergestalt
werden die Geschöpfe von dem Schöpfer der eingeführten
Lehre gemäß unterschieden, und es ist



|105| nicht nöthig, von derselben abzugehen, wie Spinoza
gemeinet hat. Hieraus erhellet aufs neue,
daß in den allerschwersten Dingen kein Licht anderswoher,
als von der Grundlehre, zu erwarten
sey: und also ist es kein Wunder, daß diejenigen,
welche dieselbe verachten oder verabsäumen,
oder auch nur obenhin berühren, bey aller ihrer
Tiefsinnigkeit im Finstern tappen.

708.

~ Die Körper und Seelen befinden
sich nicht in Gott als Theile in dem
Ganzen, und man kann dieselben keine
Theilchen von Gott nennen. Denn
man setze, wenn es geschehen kann, daß die
Körper und Seelen sich in Gott, als Theile
in dem Ganzen, befänden. Da alle Theile
zusammen genommen mit dem Ganzen eines
sind (§ 341 Grundl.): so werden alle
Körper zusammen genommen und alle
Seelen zusammen genommen, mit Gott eines
seyn; oder wenigstens eines mit etwas,
welches nothwendig in Gott ist und ohne
welches Gott weder seyn noch gedacht
werden kann. Daher enthält Gott alle
Seelen und alle Körper wirklich also in
sich, daß sie zu seinem Wesen gehören. Also
lässet sich dasjenige, was Gott als unendlich
zugeschrieben wird, nicht anders gedenken,
Irrthum Spinozas in dem Begriffe von den Körpern und Seelen.




|106| als daß derselbe wirklich alle möglichen
Abwechselungen der Weisen, welche bloß
allein in Veränderung der Schranken bestehen
(§ 830 Grundl.), in sich enthalte: folglich
entstehen sowol die Körper als die Seelen
in Gott selbst, durch Abwechselung der
Weisen in einer göttlichen Eigenschaft. Da
nun aber weder die Körper (§ 694), noch
die Seelen, durch Abwechselung der Weisen
in einer göttlichen Eigenschaft entstehen
(§ 707): so können auch weder jene
noch diese sich in Gott, als Theile in dem
Ganzen befinden. Welches das erste war.
~ Da die Körper und Seelen sich nicht in
Gott befinden, als Theile in dem Ganzen;
nach dem, was nur erst erwiesen worden:
so folget von sich selbst, daß weder die Körper
noch die Seelen Theilchen von Gott
seyen. Welches das andere war.
~ Unter den alten Weltweisen waren einige,
welche die Seelen ein Theilchen des göttlichen
Wesens nenneten. Daß aber dieselben die Körper
nicht für Theilchen Gottes hielten: das geschahe
offenbar aus der Ursache, weil sie die Materie,
aus welcher die Körper bestehen, für ein
von sich selbst seyendes Ding annahmen, welches
gleich ewig mit Gott wäre. Spinoza saget
ausdrücklich (Sittenl. 122); die Seele sey ein
Theil des göttlichen Verstandes: und leugnet



|107| (Sittenl. 72, 50), daß der Verstand, es möge
solcher gleich endlich oder unendlich seyn, zu dem
Wesen Gottes gehöre: tadelt auch diejenigen,
welche Verstand und Willen unter die göttlichen
Eigenschaften rechnen. Daher setzet er noch
weiter hinzu (daselbst, 122): {"wenn wir sagen,
die menschliche Seele habe diesen oder jenen
Gedanken; so sagen wir nichts anderes, als
daß Gott (nicht so ferne derselbe unendlich ist:
sondern so ferne er die Natur der menschlichen
Seele ausmachet) diesen oder jenen Begriff
habe. Und wenn wir sagen, Gott habe diesen
oder jenen Begriff, nicht nur so ferne er die Natur
der menschlichen Seele ausmachet, sondern
so ferne er zugleich mit der menschlichen Seele
auch den Begriff eines andern Dinges hat: so
heißet dieses so viel; die menschliche Seele erkenne
das Ding nur zumtheile oder unvollständig."}

Da die besondern Dinge insgesamt
nichts anderes als Weisen sind, durch welche die
Eigenschaften Gottes auf gewisse und bestimmte
Art ausgedrücket werden (das. 64); und die
Ausdehnung eben sowol (das. 102), als das
Denken, eine Eigenschaft Gottes genennet (das.
100), oder Gott eben sowol für ein ausgedehntes
als für ein denkendes Ding gehalten wird;
auch die Körper erkläret werden (das. 85, kraft
des obigen, 64) durch eine Weise, welche das
Wesen Gottes, so ferne man solches als etwas
Ausgedehntes betrachtet, auf gewisse und bestimmte
Art ausdrücket: so muß nach Spinoza



|108| ein ieder Körper ein Theil von Gott sey, eben
wie derselbe die Seele oder das menschliche Gemüth
( mentem humanam) zu einem Theile
des Verstandes desselben machet. Man darf
auch nicht besorgen, daß wir den Sinn Spinozas
durch eine verkehrte Auslegung veränderten,
aus dem Grunde, weil das bestehende Ding
nicht zu dem Wesen des Menschen gehöret (das.
117), sondern solches durch gewisse Abwechselungen
der Weisen in den Eigenschaften Gottes
zu Stande gebracht wird (das. 119): welches,
möchte man einwenden, von den Körpern und
denkenden Dingen, zum Beyspiele der Seelen,
und von diesen insgesamt überhaupt, auf einerley
Weise müßte gesaget werden. Denn Spinoza
vermenget das bestehende Ding mit dem
von sich selbst seyenden Dinge (§ 684): indem
also derselbe das Bestehen von den Körpern
und Seelen wegräumet; so benimmt er ihnen
nur bloß das von sich selbst seyn. Wenn man
daher den Begriff des bestehenden Dinges verbessert
und dem Gebrauche im Reden gemäß
einrichtet: so kann man, ohne Spinoza Unrecht
zu thun, sagen, daß derselbe die Körper und Seelen
zu Theilen des göttlichen bestehenden Dinges
mache, so daß nichts Bestehendes in ihnen
angetroffen werde, welches nicht zu dem göttlichen
bestehenden Dinge gehöre. Damit wir
aber den Spinozisten, und sollte es auch ohne
Ursache geschehen, keine Gelegenheit sich zu beschweren
geben möchten, als wenn wir ihnen



|109| Sätze schuld gäben, welche von ihrer Meinung
ganz und gar entfernt wären: so haben wir
uns lieber dieses Ausdrucks enthalten wollen,
ob sie gleich denselben in der gewöhnlichen Bedeutung
hätten müssen gelten lassen.

§ 709.

~ Spinoza ist ein allgemeiner Fatalist.
Denn nach Spinoza giebt es in der
ganzen Natur nichts Zufälliges, sondern
alles ist durch die Nothwendigkeit der göttlichen
Natur bestimmet, auf gewisse Weise
zu seyn und zu wirken (Sittenl. 69); und
was aus einer göttlichen Eigenschaft nothwendig
folget, das ist nothwendig da (das.
58): auch der Wille kann keine freye, sondern
bloß eine nothwendige Ursache genennet
werden (das. 74); und also wirket Gott
nicht aus freyem Willen (das. 75), daß also
die Dinge auf keine andere Weise und in
keiner andern Ordnung von Gott hervorgebracht
werden konnten, als sie wirklich
sind hervorgebracht worden (das. 77);
und es giebt auch in der Seele keinen freyen
Willen, sondern dieselbe wird dieses oder
jenes zu wollen von einer Ursache bestimmet,
welche ebenfals von einer andern Ursache
bestimmet ist, diese wiederum von einer
andern, und so unendlich fort (das.
Allgemeine Fatalisterey Spinozas.




|110| 207); und die Menschen bilden sich nur
ein, sie wären frey, so ferne sie sich ihres
Wollens bewußt sind, von den Ursachen
aber, wodurch sie zum Wollen vermocht
werden, sich nicht das mindeste einfallen
lassen (das. 83). Es ist also klar, daß Spinoza
eine unumgängliche Nothwendigkeit
aller Dinge in der Welt behauptet und solche
selbst auf die Handlungen der Menschen
ziehet, so daß er dabey die Freyheit
des menschlichen Willens leugnet. Da
nun derjenige ein allgemeiner Fatalist ist,
welcher eine unumgängliche Nothwendigkeit
aller Dinge behauptet und solche sogar
auf die menschlichen Handlungen ziehet (§
528): so ist Spinoza ein Fatalist, und
zwar ein allgemeiner Fatalist.
~ Die Spinozisten leugenen nicht, daß sie Fatalisten
seyen; sie leugnen auch nicht, daß sie allgemeine
Fatalisten seyen: denn sie behaupten
die allgemeine Fatalisterey als eine Sache, welche
der Wahrheit gemäß sey. Daher wird auch
die Fatalisterey, sonderlich die allgemeine, oft
mit der Spinozisterey vermenget, so daß man
diejenigen Spinozisten zu nennen pfleget, welchen
man durch Folgerung eine blinde Nothwendigkeit
beymisset. Allein, obgleich die allgemeine
Fatalisterey mit der Spinozisterey unzertrennlich
verknüpfet ist: so ist sie doch mit derselben
nicht einerley (§ 528, 671).



|111|
§ 710.

~ Spinoza hat die blinde Nothwendigkeit
aller Dinge weder erwiesen,
noch auch erweisen können. Denn,
wenn Spinoza dieselbe beweisen will (Sittenl.
43): so behauptet er, aus der Nothwendigkeit
der göttlichen Natur folge alles,
dessen ein unendlicher Verstand fähig
sey; und daraus ziehet er die Folge (das.
47), daß derselbe bloß nach der Nothwendigkeit
seiner Natur handele, weil außer
ihm nichts vorhanden sey, wovon er zum
Thun bestimmet würde. Daß aber alles
aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur
folge, beweiset er daher: weil der Verstand
aus der gegebenen Erklärung einer
ieden Sache dasjenige schließe, was in der
That aus derselben, das ist, aus dem Wesen
der Sache selbst, nothwendig folget.
Allein, es folget aus diesem allem dasjenige
im gerinsten nicht, was er daraus schließen
will. Denn, wenn derselbe nicht den
eingebildeten Begriff von dem unendlichen
Denken (§ 707) und der unendlichen Ausdehnung,
als wirklich angenommen (§
689), und beyde Gott als Eigenschaften
beygeleget hätte, welche sein unendliches
Wesen ausdrückten (§ 671): so würde er
Die allgemeine Fatalisterey ist von Spinoza fälschlich behauptet worden.




|112| nimmermehr daraus den Schluß gemachet
haben, daß alles aus demselben nothwendig
folgte. Vielmehr, wenn derselbe
die eingeschränkten Wirklichkeiten, welche
sich in der Seele befinden, deutlich eingesehen
und solche Gott in dem allerhöchsten
Grade zugeschrieben hätte (§ 70): so würde
er erkannt haben, daß Gott ein unendlicher
Verstand zukomme (§ 117, 118),
und eingesehen haben, daß nur bloß das
Wesen der Dinge (§ 94), oder alles Mögliche,
aus demselben nothwendig folge (§
327); er hätte auch begriffen, daß der Verstand
und die Macht Gottes kein zureichender
Grund seyen, warum ein endliches
Ding da sey (§ 349), und daß also, wenn
man den göttlichen Verstand und die göttliche
Macht setzet, die endlichen Dinge dadurch
noch nicht als wirklich gesetzet werden
(§ 118 Grundl.): sondern es werde noch
dazu erfodert der Wille Gottes (§ 350),
und zwar der allerfreyeste Wille desselben
(§ 277). Es ist daher klar, daß die unumgängliche
Nothwendigkeit aller Dinge von
Spinoza nicht erwiesen worden.
~ Nun hat aber Gott die menschlichen
Seelen (§ 338) nebst der ganzen Welt freywillig
erschaffen (§ 354), frey selbst von allem



|113| innerlichen Zwange (§ 355), indem er
aus mehrern möglichen Welten die gegenwärtige
erwählet hat (§ 356): und alle
endlichen Dinge (§ 330), sowol die Seelen
(§ 331), als die Welt, sind insgesamt
zufällige Dinge (§ 332); auch alles, was
da ist, ist nicht anders als zufälliger Weise
da (§ 334): selbst die Ordnung der Natur
ist nur bloß zufällig und von einer unumgänglichen
Nothwendigkeit frey (§ 561
Weltl. und Anm. zu § 761, 1 Th. nat. Gottesg.).
Es ist daher für sich selbst klar (indem
dasjenige, was erwiesen wird, wahr
seyn muß {[§ 544 Vern.]}), daß Spinoza die
unumgängliche Nothwendigkeit der Dinge
keinesweges erweisen konnte.
~ Was aus dem Begriffe des freyen Willens
durch Schlüsse hergeleitet wird, das folget zwar
nothwendig aus demselben: weil allerdings der
Freyheit des Willens dasjenige zukommen
muß, was derselben zugesprochen wird. Allein,
hieraus folget keinesweges, daß der Wille selbst
nicht frey seyn, oder daß ihm keine andere Freyheit
beygeleget werden könnte, als diejenige, welche
von dem äußerlichen Zwange frey ist: dergleichen
Spinoza nur erkennet wenn er behauptet,
Gott allein sey eine freye Ursache. Wir sehen
also hieraus, daß Spinozas Fatalisterey auf
seinen Erklärungen beruhet, welche er seiner



|114| Meinung zu gefallen erdichtet, und von welchen
wir oben angemerket haben, daß vielfältige
Mängel in denselben anzutreffen sind.

§ 711.

~ Die Spinozisterey ist eine falsche
Meinung. Denn nach Spinozas Meinung
giebt es nicht mehr als ein einziges
bestehendes Ding, welches unendliche Eigenschaften
besitzet, wovon ihrer zwo das
unendliche Denken und die unendliche
Ausdehnung sind, und deren iede ein ewiges
und unendliches Wesen ausdrücket:
die endlichen Dinge aber entstehen nach
derselben aus der nothwendigen Abwechselung
der Weisen in den Eigenschaften
dieses bestehenden Dinges, nämlich Gottes;
zum Beyspiele die Seelen, aus Abwechselung
der Weisen in dem unendlichen
Denken, und die Körper, aus Abwechselung
der Weisen in der unendlichen Ausdehnung
(§ 671, 672). Allein, Spinoza
hat nicht erwiesen, daß außer Gott kein bestehendes
Ding mehr seyn noch gedacht
werden könne, und daß dieses unendlich
sey (§ 704): sondern es giebt allerdings
nach der gewöhnlichen Bedeutung des
Wortes mehrere endliche bestehende Dinge
(§ 705). Die Ausdehnung kann nicht
Falschheit der Meinung Spinozas.




|115| einmal in Spinozas Verstande eine Eigenschaft
Gottes seyn (§ 691), und Spinoza
irret, wenn er behauptet, Gott sey ein ausgedehntes
Ding (§ 692). Auch die Körper
können nicht aus Abwechselung der
Weisen in der unendlichen Ausdehnung,
welche als eine göttliche Eigenschaft betrachtet
wird, entstehen: und man kann
sie auch in Spinozas Verstande keine
Weise nennen, welche das Wesen Gottes,
so ferne man denselben als ein ausgedehntes
Ding betrachtet, auf gewisse und bestimmte
Art ausdrücket (§ 694). Auch die
endlichen denkenden Dinge, dergleichen die
Seelen sind, entstehen nicht aus Abwechselung
der Weisen in dem unendlichen Denken,
als eine göttliche Eigenschaft betrachtet,
und man kann dieselben keine Weise der
göttlichen Eigenschaft, nämlich des unendlichen
Denkens, nennen (§ 707). Endlich
hat Spinoza die unumgängliche Nothwendigkeit
aller Dinge, mit gänzlicher Aufhebung
aller Zufälligkeit und Freyheit des
Willens, weder erwiesen, noch erweisen
können (§ 710): und also ist es falsch, daß
alles, was da ist, aus den Eigenschaften
Gottes nothwendig folgte. Es ist daher
klar, daß die Spinozisterey eine falsche
Meinung ist (§ 505 Vern.).



|116| ~ Die Spinozisterey wird also durch unser
Lehrgebäude über einen Haufen geworfen, indem
sie demselben gerade entgegen stehet: daher
ist es unmöglich, daß einer, der unsere Sätze
wohl inne hat, in diesen Irrthum verfallen sollte.
Vielmehr wird niemand die Spinozisterey besser
und glücklicher bestreiten, als wenn er unsere
Grundsätze zu Waffen dabey gebrauchet. Nachdem
wir nun die Hauptmeinung Spinozas widerleget
haben, worauf das andere alles, was er
eigenes für sich hat, beruhet: so fallen alle die
übrigen Irrthümer desselben, welche daraus
fließen, von sich selbst weg; daß es also unnöthig
ist, bey Erörterung derselben noch Mühe
anzuwenden. Jedoch, wir wollen einige derselben
berühren.

§ 712.

~ Spinoza irret, wenn er behauptet,
es gebe keine Absichten in der Natur,
oder wie er redet, die Absichten der
Dinge seyen nichts anderes, als Erdichtungen
der Menschen (Sittenl. 83, 77
S.). Denn er schließet solches daher,
weil alles aus einer gewissen ewigen Nothwendigkeit
der Natur herrühre. Da er
aber dieses weder erwiesen hat, noch es
von iemanden kann erwiesen werden (§
710): so kann auch einen solchen
Schlußsatz, welcher aus einem falschen Obersatze
Die Absichten sind von Spinoza mit Unrecht aus der Welt verbannet worden.




|117| hergeleitet worden, nicht als wahr
annehmen (§ 407 Vern.). Ja, da wir
das Gegentheil gezeiget haben (§ 608,
645, 648 u. f. 1 Th. nat. Gottesg.): so
bejahet Spinoza, was da hätte verneinet
werden sollen (§ 205 Vern.). Da nun
derjenige irret, welcher bejahet, was da hätte
verneinet werden sollen (§ 624 Vern.):
so irret Spinoza, wenn er alle Absichten
aus der Natur wegnimmt und solche für
nichts anderes, als Erdichtungen der
Menschen hält.
~ Mit den Absichten hebet auch Spinoza zugleich
die Weisheit Gottes auf (§ 678 vern.
Seelenl.), erkläret sie für ein Unding und rechnet
dieselbe unter die Erdichtungen der Menschen.
Wie schädlich dieser Irrthum der Gottseligkeit
sey: das wird sich zu seiner Zeit zur Genüge
zeigen, wenn wir die Ausübung der Pflichten
gegen Gott erweisen werden.

§ 713.

~ Spinoza irret, wenn er die Wunderwerke
unter die unmöglichen Dinge
rechnet. Weil Spinoza ein Fatalist,
und zwar ein allgemeiner Fatalist ist, und
eine blinde Nothwendigkeit aller Dinge,
mit Aufhebung aller Zufälligkeit der Dinge
und Freyheit der Handlungen, aus Gott
Unmöglichkeit der Wunderwerke wird fälschlich von Spinoza behauptet.




|118| selbst herleitet (§ 709): so kann nicht das
geringste anders geschehen, als es wirklich
geschiehet. Daher behauptet auch derselbe
Sittenl. 77): die Dinge hätten auf keine
andere Weise, auch in keiner andern Ordnung
von Gott hervorgebracht werden
können, als sie wirklich sind hervorgebracht
worden; und leugnet (das. 75), daß Gott
aus freyem Willen wirke. Es ist also
nach ihm unmöglich, daß in der Natur ein
Werk seyn sollte, wovon keine hinlängliche
natürliche Ursache vorhanden wäre. Da
nun sonst kein Wunderwerk geschiehet, als
wenn die natürlichen Ursachen ermangeln,
welche die Wirklichkeit desjenigen, was
möglich ist, bestimmeten (§ 518 Weltl.):
so ist nach Spinoza unmöglich, daß iemals
ein Wunderwerk geschenen sollte; und also
rechnet er die Wunderwerke unter die
unmöglichen Dinge. Nun kann aber
Gott Wunderwerke thun, so oft als derselbe
will (§ 363, 1 Th. nat. Gottesg.): daher
ist es klar, eben wie vorhin (§ 712), daß
Spinoza irre, wenn er die Wunderwerke
unter die unmöglichen Dinge rechnet.
~ Spinoza bestreitet die Wunderwerke aus der
unumgänglichen Nothwendigkeit der Ordnung
der Natur, deren Zufälligkeit und Freyheit von



|119| aller Nothwendigkeit wir anderswo dargethan
haben (§ 561 Weltl.), ausdrücklich in der Abhandlung
solcher Dinge, welche in die Gottesgelahrtheit
und Staatskunst einschlagen (6 C.
68 S. u. f.), und behauptet daselbst: ein Wunderwerk
heiße weiter nichts, als ein Werk, dessen
natürliche Ursache wir durch kein Beyspiel einer
andern ungewöhnlichen Sache erklären könnten,
oder wenigstens derjenige nicht erklären
könnte, welcher das Wunderwerk schriftlich oder
mündlich erzählet; so daß seinem Sinne gemäß
das Wunderwerk erkläret werden muß, durch
ein ungewöhnliches Werk der Natur, dessen Ursache
dem gemeinen Manne verborgen ist. Wir
bürden also demselben nicht etwas durch eine
Folgerung auf, welches er ausdrücklich leugnete:
sondern dasjenige, was er selbst als wahr
vertheidiget; indem er gar wohl weis, was aus
seinem Lehrgebäude folget. Daher schließet er
auch hieraus, wie es demselben gemäß ist (das.
76 S.); daß alle die Wunderwerke, welche in
der Schrift erzählet werden, natürlich zugegangen
wären, und unternimmt durch Beyspiele zu
zeigen, wie sie zugegangen seyen: und dieses mit
solcher Zuversicht zu seinen Lehrsätzen, daß er
endlich keine Scheu träget den Schluß zu machen
(das. 77 S.); wenn etwas in der Schrift
angetroffen werde, wovon man unumstößlich
erweisen könne, daß es den Gesetzen der Natur
zuwider sey, oder aus denselben nicht habe erfolgen
können; so müsse man allerdings glauben,



|120| daß solches von gottlosen Leuten zu den heiligen
Schriften hinzugesetzet worden sey. Hieraus
lässet sich nun erkennen, wie schädlich die Spinozisterey,
und wie nöthig es ist, daß man auf
das deutlichste zeige, auf welchem schlüpfrigen
Grunde dieselbe beruhe, welches, wie ich hoffe,
in dem Vorhergehenden von mir geleistet worden
ist. Da nun übrigens selbst aus demjenigen,
was wir von dieser gottlosen Lehre in dem
Vorhergehenden erwiesen haben, zu erkennen
ist, daß niemand die in der Spinozisterey versteckten
Grundirrthümer nur einmal deutlich
wahrnehmen kann, wenn er nicht die deutlichen
Begriffe in der Grundlehre, welche aus den
Dingen selbst hergeleitet sind, wohl gefasset hat:
so erhellet hieraus auch ohne mein Erinnern,
wie sehr nöthig es sey, daß wir auf die Erlernung
der Grundlehre unermüdeten Fleiß wenden.
Aus dieser Ursache haben wir bereits bey Gelegenheit
erinnert, und erinnern es aufs neue, weil
es nicht genug kann eingeschärfet werden: daß
die Verabsäumung der ersten Gründe der Weltweisheit
Spinoza gehindert, daß er die Grundirrthümer,
woraus die übrigen herfließen, nicht
wahrgenommen hat; und daß eben dieselbe
Verabsäumung nothwendig verhindern muß,
daß andere bey Lesung der Schriften Spinozas
aus den Schwierigkeiten, in welche sie verwickelt
werden, sich nicht heraushelfen können, sonderlich,
wenn sie in der erweisenden Lehrart nicht
genugsam erfahren sind.



|121|
§ 714.

~ Die Spinozisten sind Irreligionisten,
oder, sie haben keine Religion.
Denn die Spinozisten sind Fatalisten, und
zwar allgemeine Fatalisten (§ 709). Nun
ist aber ein Fatalist, wenn er von der Gattung
der allgemeinen ist, zugleich ein Irreligionist
(§ 571). Daher sind auch die
Spinozisten Irreligionisten.
~ Nämlich, der Beweis, wodurch wir dargethan
haben, daß durch die allgemeine Fatalisterey
alle Religion aufgehoben werde, lässet
sich auch auf die Spinozisterey wenden. Nach
Spinoza bleibet Gott keine Freyheit zu wirken
übrig: und weil nach demselben keine Weisheit
Platz findet (Anm. zu § 712); so werden auch
keine Absichten in der Natur eingeräumet (§
712): und also kann man nicht sagen, daß
Gott eine Richtung dessen, was in der Welt geschiehet,
auf gewisse Absichten, zukomme. Da
nun in dieser Richtung die göttliche Regirung
bestehet (§ 899, 1 Th. nat. Gottesg.): so ist
Gott nach Spinoza keinesweges ein Regirer
der Welt; und also hebet Spinoza das vornehmste
Stück in der göttlichen Vorsehung auf
§ 922, 1 Th. nat. Gottes.). Wenn man
dieses erwäget: so wird man leicht erkennen,
daß in der Spinozisterey keine Religion statt
habe. Denn, obzwar Spinoza die Erkenntniß



|122| Gottes gar sehr anpreiset (Sittenl. 456):
so ist doch in derselben eben so wenig einiger
Gottesdienst anzutreffen, als in der Erkenntniß
der Natur, deren wir uns befleißigen, weil
wir Vergnügen daran finden. Es ist auch
bekannt, daß Spinoza das höchste Gut des
Menschen in der anschauenden Erkenntniß der
Wahrheit gesuchet hat, und daß nach seinen
Sätzen Gott erkennen eben so viel ist, als die
natürlichen Dinge aus ihren Ursachen erkennen.
Daher erhellet aufs neue, wie schädlich
die Spinozisterey sey, weil sie nämlich aller Religion
entgegen ist. Wer hierinnen die Meinung
Spinozas, und wie er gegen die Religion gesinnet
gewesen ist, wissen will: der lese nur
seine Abhandlung solcher Dinge, welche in die
Religion und Staatskunst einschlagen. Es
ist aber unseres Thuns nicht, seinen Sinn in
diesem Stücke mit lebendigen Farben abzumahlen.

§ 715.

~ Ein Spinozist hebet alle göttliche
Verbindlichkeit, rechtschaffene Handlungen
zu thun und die bösen zu unterlassen,
gänzlich auf. Denn ein Spinozist
ist ein Fatalist, und zwar ein allgemeiner
Fatalist (§ 709). Wenn aber
ein Fatalist von der Gattung der allgemeinen
ist: so hebet er die göttliche Verbindlichkeit
Die göttliche Verbindlichkeit zu gewissen Handlungen, wird durch die Spinozisterey aufgehoben.




|123| auf (§ 544). Daher hebet
auch ein Spinozist die göttliche Verbindlichkeit
auf.
~ Nämlich, die Spinozisten leugnen, daß
die Seele einen freyen Willen habe; und also
thut nach ihrer Meinung ein Mensch dasjenige,
was er thut, nothwendig, und ist durch
natürliche Ursachen so und nicht anders zu
handeln bestimmet, kann auch nicht machen,
daß er nicht also bestimmet wäre: ja, weil
endlich alles von Gott so und nicht anders bestimmet
ist, und Gott selbst nicht das mindeste
anders bestimmen kann, als es wirklich
bestimmet ist; so kann man sich bey der Spinozisterey
eine göttliche Verbindlichkeit nicht
einmal vorstellen. Dieses aber ungeachtet
giebt Spinoza zu, es sey besser, wenn ein
Mensch nach der Vernunft lebe, als wenn er
einen Wandel führe, welcher wider die Vernunft
ist: obgleich derselbe leugnet, daß der
Mensch aus einer Freyheit des Willens seine
Handlungen der Vernunft gemäß einrichte.
Und diesen Menschen, welcher nach der Vernunft
lebet, achtet er für vollkommener, als
den andern, dessen Wandel der Vernunft zuwider
ist. Ja es ist bekannt, daß Spinoza
selbst ein sehr nüchternes Leben geführet, andern
zu dienen bereitwillig gewesen, und vor
der Beleidigung anderer einen Abscheu getragen
habe. Was übrigens die hieraus fließenden



|124| Folgen betrifft, wodurch der Wahrheit
und Tugend Eintrag geschiehet, wenn
man alle göttliche Verbindlichkeit, gewisse
Handlungen zu thun, andere aber zu unterlassen,
für nichts hält; auch dem Menschen
seine Kräfte übrig lässet, anders zu leben,
als er wirklich thut: so ist gegenwärtig unser
Vorhaben nicht solche zu zeigen, indem sie ein
ieder, ohne das mindeste scharfe Nachdenken,
für sich selbst wahrnehmen kann.

§ 716.

~ Die Spinozisterey ist von der Gottesleugnung
nicht weit entfernet,
und eben so schädlich, als diese: ja
sie ist gewisser maßen noch schädlicher,
als die Gottesleugnung. Denn, obzwar
Spinoza einen Gott, als die erste
und einzige Ursache aller Dinge, einräumet
(§ 672): dennoch aber, da er leugnet,
daß derselbe weise sey (Anm. zu §
712), und nach einem freyen Willen
handele (Anmerk. zu § 709), auch diese
Welt regire (Anm. zu § 714), und behauptet,
daß die Körper und Seelen,
nebst den übrigen denkenden Dingen,
wenn es dergleichen geben sollte, sich in
demselben befinden als Theile in dem



|125| Ganzen (Anm. zu § 708); so dichtet er
einen Gott, welcher von dem wahren
Gotte ganz und gar unterschieden ist,
indem dieser mit der höchsten Weisheit
(§ 640, 1 Th. nat. Gottesg.) und größten
Freyheit des Willens begabet ist (§
431, 1 Th. nat. Gottesgel.), und diese
Welt durch seine Weisheit regiret (§
902, 1 Th. nat. Gottesgel.), auch die
Seelen und Körper nebst den übrigen
denkenden Dingen, wenn es dergleichen
giebt, nicht in ihm, als Theile in dem
Ganzen, enthalten sind (§ 708). Es
ist also eben so viel, als wenn er das
Daseyn des wahren Gottes leugnete.
Da nun derjenige ein Gottesleugner ist,
welcher das Daseyn Gottes leugnet (§
411): so ist klar, daß die Spinozisterey
von der Gottesleugnung nicht weit entfernet
ist. Welches das erste war.
~ Ferner hebet die Spinozisterey alle
Religion auf (§ 714), imgleichen alle
göttliche Verbindlichkeit, gewisse Handlungen
zu thun, andere aber zu unterlassen
(§ 715), eben wie die Gottesleugnung
(§ 516, 539). Da nun die Gottesleugnung
in so ferne schädlich ist, als



|126| durch dieselbe alle Religion und göttliche
Verbindlichkeit, gewisse Handlungen
zu thun, andere aber zu unterlassen,
aufgehoben wird: so kann man nicht im
geringsten mehr zweifeln, daß die Spinozisterey
eben so schädlich sey, als die
Gottesleugnung. Welches das andere
war.
~ Allein, mit der Spinozisterey ist die
allgemeine Fatalisterey unzertrennlich
verknüpfet (§ 709). Da nun die allgemeine
Fatalisterey die blinde Nothwendigkeit
auf alle und iede Handlungen
der Menschen ziehet (§ 528); mit
der Gottesleugnung aber die allgemeine
Fatalisterey nicht nothwendig verknüpfet
ist (§ 531): so ist die Spinozisterey
der Ausübung sittlicher Handlungen
mehr entgegen, als die Gottesleugnung
für sich selbst betrachtet, weil zu dieser
die allgemeine Fatalisterey sich nur zufälliger
Weise gesellet. Nun ist aber
die Gottesleugnung schädlich, so ferne
sie der Ausübung sittlicher Handlungen
entgegen ist; wie wir zu seiner Zeit mit
mehrern darthun werden: daher ist es



|127| allerdings offenbar, daß die Spinozisterey
gewisser maßen noch schädlicher sey,
als die Gottesleugnung. Welches das
dritte war.
~ Wenn iemand ausführlicher unterrichtet
zu seyn verlanget, wie groß der Unterschied
sey zwischen dem wahren Gotte und demjenigen,
welchen Spinoza dichtet und mit einer
scheinbaren Erklärung schmücket (§ 672),
welche aber ein veborgenes Gift in sich hat:
so kann er nur dasjenige, was von dem wahren
Gotte sowol in unserm eigentlichen Lehrgebäude
von demselben, als in dem ersten
Abschnitte des gegenwärtigen Werkes, erwiesen
worden, mit der Spinozisterey zusammenhalten.
Denn auf diese Art wird erhellen,
was dem wahren Gotte entgegen stehet,
und was da, wenn man denselben annimmt,
von ihm verneinet werden muß: folglich
wird man daraus ersehen, wie gering die
Anzahl derjenigen Lehrsätze sind [ist], welche bey
der Spinozisterey ihre Wahrheit übrig behalten.
Aus dieser Ursache ist es auch geschehen,
daß die Spinozisten mit iedermanns
Einstimmung für Gottesleugner gehalten,
und die Spinozisterey für eine gottlose Meinung
geachtet wird: und daher ist es gekommen,
da sonst andere Schriftsteller, welche



|128| man der Gottesleugnung beschuldiget, ihre
Vertheidiger gefunden haben; daß bisher
noch niemand angetreten ist, welcher sich
unterfangen hätte, Spinoza von dieser Beschuldigung
zu befreyen. Vielmehr wird
die Sittenlehre Spinozas als das einzige Lehrgebäude
der Gottesleugnung angesehen, welches
in öffentlichem Drucke heraus ist: daher
wir es auch unserer Absicht gemäß erachtet
haben, die Grundsätze derselben über einen
Haufen zu werfen.